User Experience Design ist Strategie, nicht Design!

Von Sebastian Garn, Digital Strategic Planner bei DDB Tribal Hamburg

 

„Every task, every interaction, no matter how seemingly banal, has the potential to contain multitudes.“ – Sherlock Holmes

 

Längst haben wir den Übergang von der Dienstleistungs- zur Erlebnisökonomie vollzogen – Erlebnisse sind das ökonomische Gut, nach dem wir suchen.

 

Eine Ware zu kaufen ist einfach, schließlich erhält man etwas Greifbares. Kauft man jedoch eine Dienstleistung ein, so erwirbt man eine Kombination ungreifbarer Tätigkeiten, die im Auftrag des Unternehmens ausgeführt werden. Wer aber ein Erlebnis kauft, der zahlt dafür, eine bestimmte Zeit lang ein unvergessliches Erlebnis zu genießen, das eine Marke inszeniert, um ihn auf eine persönliche Weise einzubeziehen.

 

Bereits 1999 schrieben die beiden Managementberater B. Joseph Pine II und James H. Gilmore von der „Experience Economy“ und propagierten die Verwandlung der zweckrationalen Zielerreichung in eine ansprechende, motivierende, sympathische und positive Erfahrung.

 

Heute, 14 Jahre später, ist die Idee der „Experience Economy“ aktueller denn je. Mit der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft und der Flut an Unterhaltungs- und Informationsmöglichkeiten konkurrieren Werbebotschaften nicht mehr nur untereinander, sondern mit sämtlichen Inhalten im Web. Wem der Nutzer seine wertvolle Zeit schenkt, entscheidet er alleine und nicht mehr die Marke.

 

In der digitalen Markenkommunikation hat sich mit dem „User Experience Design“ eine Disziplin entwickelt, die ursprünglich aus der Software-Entwicklung stammt und mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist, wenn es um die Konzeption von Markenerlebnissen geht.

 

„Design is not just what it looks like and feels like. Design is how it works.“ – Steve Jobs

 

Wer beim Thema „User Experience Design“ jedoch an Design im ursprünglichen Sinne denkt, der irrt. „User Experience Design“ ist vielmehr eine durchgängige Strategie für alle Interaktionen zwischen Nutzer und Marke mit dem Ziel, durch modellierte Interaktionen emotionale Akzeptanz zu erzeugen und den Nutzer an die Marke zu binden. Die Entwicklung von Markenerlebnissen wie zum Beispiel Nike+ wäre ohne „User Experience Design“ und die damit verbundene Fokussierung auf das Nutzererlebnis kaum vorstellbar.

 

Wenn „User Experience Design“ aber Strategie und nicht Design ist, ist dann jeder Planner auch ein „User Experience Designer“? Im Prinzip ja – und doch gibt es kleine aber entscheidende Unterschiede, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten.

 

Nutzer statt Konsumenten

Zentrales Element des „User Experience Design“ ist der Nutzer. Für ihn wird das Erlebnis konzipiert, er steht an erster Stelle im Entwicklungsprozess. Diese Nutzerfokussierung ist auch für uns Planner von entscheidender Bedeutung, wenn wir dabei helfen wollen, Markenerlebnisse abseits der Kommunikation von Botschaften zu erschaffen.

 

Der wohl größte Unterschied liegt aber in der Sichtweise auf unsere Kunden. Für den „User Experience Designer“ ist der Nutzer ein aktiver Teilnehmer an einem Erlebnis, das auf ihn zugeschnitten ist und das nicht mit dem Kauf eines Produktes bzw. der Inanspruchnahme einer Dienstleistung vorbei ist – der Nutzer ist ein aktiver Teilnehmer, der sich intensiv mit der Marke bzw. dem Produkt auseinandersetzt anstatt ein Produkt passiv zu konsumieren.

 

Interaktionen statt Kommunikation

„Kommunikation bezeichnet den Austausch von Informationen zwischen zwei oder mehreren Personen, wobei die Mitteilung sprachlich (verbal) oder/und nichtsprachlich (nonverbal) erfolgen kann“ (Peter Köck/Hanns Ott, 1994).

 

Im Gegensatz dazu ist die Interaktion im Sinne des „User Experience Design“ eine nicht ausschließlich sprachliche Wechselwirkung zwischen Akteuren oder Systemen, die das Verhalten der beteiligten Personen beeinflusst. Die Interaktionsmöglichkeiten von Marken beschränken sich demnach nicht auf die Kommunikation von Botschaften, sondern können aus zusätzlichen Serviceleistungen oder Dialogmöglichkeiten bestehen, die auch nach dem Kauf bzw. der Inanspruchnahme der Dienstleistung eine Relevanz für den Nutzer haben.

 

Um dem gerecht zu werden, müssen wir verstehen, dass jede Interaktion, sei sie noch so klein oder banal, das Gesamterlebnis für den Nutzer prägt und uns einen Spielraum gibt, den es mit mehr zu füllen gilt als mit Botschaften.

 

Systeme statt Kanäle

Markenerlebnisse spielen sich nicht in Kanälen ab, sondern sind das komplexe Zusammenspiel von Wahrnehmung, Umfeld und psychischem Zustand des Nutzers. Wenn wir uns aber weiterhin nur auf markentypische Kanäle stürzen, anstatt das gesamte Interaktionsspektrum zu verstehen, entstehen keine Markenerlebnisse, sondern Werbung, die es schwer hat gehört zu werden.

 

Auch hier können wir eine Menge von „User Experience Designern“ lernen. Explorative Research-Methoden, wie sie im „User Experience Design“ eingesetzt werden, helfen uns, bisher unentdeckte Interaktionsmöglichkeiten zu finden. Experience Maps, die das komplette Nutzererlebnis einer bestimmten Situation abbilden, zeigen Interaktionsmöglichkeiten und systematische Zusammenhänge auf, mit denen eine Marke echte Mehrwerte schaffen und den Konsumenten zu einem aktiven Nutzer machen kann.

 

Das Nutzererlebnis ist das Markenerlebnis

Ob wir wollen oder nicht, im Zeitalter der Erlebnisökonomie ist das Nutzererlebnis das Markenerlebnis. Jede Interaktionsmöglichkeit des Nutzers mit der Marke ist von entscheidender Bedeutung. Umso wichtiger wird es in Zukunft sein, das Interaktionsspektrum noch besser zu verstehen, um gezielter auf die Bedürfnisse unserer Nutzer einzugehen, anstatt sie mit Botschaften zu bombardieren, die in der Masse der Inhalte untergehen.

 

„User Experience Design“ stellt dabei nicht nur verschiedene interessante Tools zur Verfügung, sondern kann uns auch dabei helfen, ein neues Verständnis für unsere Arbeit abseits der klassischen Kommunikation zu entwickeln.

 

Und wer weiß, vielleicht sind wir demnächst wirklich alle „User Experience Designer“ …

 

Foto: „Window“ | truetype | photocase.de

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