Pippi-Langstrumpf-Planning

Es kann nicht schaden, sich hin und wieder der Begrenztheit des eigenen Denkens zu vergewissern. Auch Naivität ist per se nichts Schlechtes, denn wer sich nur auf die Vermeidung von Denkfehlern versteift, produziert im Zweifel Unverständliches für den Kunden.

Von Henning Schröder und David Ewald, Scholz & Friends Strategy Group

 

Als Pippilotta Viktualia – genannt Pippi – in den Achtzigerjahren über unsere Kinderbetten hüpfte und lauthals ihr falsches Einmaleins juchzte, da waren wir noch klein und hörig und grenzenlos naiv. Wir glaubten Pippi bedingungslos. Die Welt würde sich ganz gewiss nach unseren Vorstellungen verhalten, und nicht umgekehrt: „Zwei mal drei macht vier, widde widde witt und drei macht neune. Ich mach‘ mir die Welt widde widde wie sie mir gefällt…“

Die Naivität, mit der wir den Verheißungen des roten Sommersprossengesichts Glauben schenkten, ist freilich längst einer nüchternen, rationaleren Weitsicht gewichen. Dazwischen liegt das Erlebnis von Schule und Studium, in der wir sowohl die korrekte Abfolge der 3er-Reihe lernten als auch schwerfällig an den Logarithmen paukten. Die Welt, das lehrte man uns in all den Jahren, sei kontrollierbar und äußerst exakt, wenn man nur folgerichtig denke und die Widde-widde-witt-Logik erst einmal hinter sich gelassen habe.

Genauso schnell wie wir uns also von Pippi emanzipierten, genauso fix hat sich auch die Welt verändert. Sie ist mittlerweile ein riesiger Behälter voller erstaunlicher Ideen, Entdeckungen, Studien, Meinungen etc.

Fachleute nennen unsere Welt deshalb auch „komplex“ und „unübersichtlich“. Sie meinen damit, dass den beinahe unendlich vielen Tatsachen oder Ereignissen schlichtweg zu wenig ordnende Regeln gegenüberstehen. Ein für die meisten Menschen (und Unternehmen!) unerträglicherZustand.

Die Lösung: Man konsultiere sogenannte „Experten“. Experten versprechen, komplexe Problematiken beherrschbar zu machen und – dank scharfer Analyse und exklusivem Wissen – eine Lösung anzubieten, die alle Komplexität von jetzt auf gleich quasi im Handumdrehen reduziert.

 

„Denkfehler passieren immer und überall!“

Auch wir Planner und Strategen gehören zu dieser sehr allgemeinen Berufsgruppe der Experten – und sind somit in erster Linie Profiteure der Komplexität. Ganz gleich ob verschachtelte Markenportfolios, verworrene Zielgruppenbedürfnisse, verzwickte Marktsituationen – vom Strategen erhofft sich der Auftraggeber vernünftige Ableitungen und durchdachte Lösungen.

Das Problem: Schnell wird dabei – übrigens von allen Seiten gleichzeitig – übersehen, dass das mit dem „Durchdenken“ und der „Vernünftigkeit“ nicht immer ganz gegeben ist. Auch Experten denken fehlerhaft; auch sie machen sich die Welt so, wie sie ihnen gefällt. Und sie bewirken damit im Ergebnis manchmal nicht Reduktion, sondern im schlechtesten Fall sogar eine Multiplikation von Komplexität.

Womit wir wieder bei Pippi Langstrumpf angekommen wären, deren obiger Wahlspruch – trotz gegenteiliger Bemühungen – offenbar weitaus nachhaltiger ist als weithin angenommen.

Der „Denkfehlerexperte“ Rolf Dobelli stellt hierzu offiziell fest: „Denkfehler passieren immer und überall. Keiner ist vor ihnen gefeit, nicht der Forscher, nicht der Professor. Mit Denkfehlern meine ich systematische, sich stetig wiederholende Abweichungen zur Rationalität, zum logischen und vernünftigen Denken und Handeln.“

Tatsächlich denken auch wir Planner und Strategen regelmäßig in die Irre. In uns allen tobt der Pippi-Langstrumpf-Planner. Und der …

 

… denkt, was er will.

Eine unbefangene Problemanalyse? Denkste! Das erste Grundgefühl entscheidet über das Ergebnis einer wochenlangen Analyse mehr, als uns lieb und bewusst ist.

Was wir Analyse nennen, ist viel zu oft bloß Bestätigung unserer anfänglichen Arbeitshypothese. Und unser Gehirn kommt uns dabei zur Hilfe: Die Vorbehaltzeit widerstreitender Argumente währt nur ganze dreißig Minuten. Wir sind auf Bequemlichkeit, nicht auf Genauigkeit trainiert (Confirrnation Bias).

 

… sieht, was es nicht gibt.

Ein Verhalten ohne Muster? Denkste! Häufig denken wir viel schematischer, als uns eigentlich bewusst ist und der Problematik angemessen wäre.

Unsere Denkapparate sind stets darauf getrimmt, intelligente und einleuchtende Muster zu erkennen – selbst dann, wenn keine Muster existieren, kreieren wir den – noch ausgeklügelte Modelle. Weil wir unbedingt wollen, dass das, was wir bearbeiten, Sinn ergibt, modellieren wir uns die Welt, damit sie uns gefällt (C1ustering-lIIusion).

 

…glaubt, was gut klingt.

Ein profunder Abstieg in die Tiefen des Details? Denkste! Unser Denken bewegt sich zu oft nur an der Oberfläche und hat eine ausgeprägte Schwäche für alles Abnormale und Auffällige.

Wir werden angezogen von der Außergewöhnlichkeit und Besonderheit und verlieren den Blick für das Leise und Wesentliche, das dahinter verborgen liegt. Das Schrille gewinnt gegen die Stille, und das ganz lautlos (Salienz-Effekt) .

 

Mehr Bewusstsein – und auch etwas Naivität

Was mahnt uns der Pippi-Langstrumpf-Planner?

1.) Vor allem mehr Bewusstheit: Es kann nicht schaden, sich hin und wieder der Begrenztheit des eigenen Denkens zu vergewissern. Nur wer über die gemeinen Fallstricke des Denkens Bescheid weiß, wird vom handelsüblichen Experten zum echten Souverän.

2.) Naivität ist per se nichts Schlechtes: Wer nur rational argumentiert, wer nur auf die Vermeidung von Denkfehlern versteift ist, produziert im Zweifel Unverständliches für den Kunden. Denn auch der Kunde lebt das PippiPrinzip mehr, als es ihm bewusst ist.

In diesem Sinne: Willkommen im Taka-Tuka-Land!

 

 

Foto: Adrian | g-mikee | photocase.de

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