Endlich wieder Langeweile!

Langeweile hatte schon immer einen schlechten Ruf. Auch in Agenturen ist heute kaum noch Platz für Müßiggang. Dabei kann sich Langeweile auch positiv auf das kreative Denken auswirken.

Von Tim Keil, Head of Strategic Planning bei Philipp und Keuntje, Hamburg

 

Das Primat der Effizienz hat nicht erst seit der Einführung des Controlling und der Stundenerfassung Einzug in die Unternehmen gehalten. Schon im Benediktinerorden galt der Grundsatz: „Ora et labora“. Bete und arbeite. Und auch die protestantische Arbeitsethik basiert auf der Vorstellung, dass es dem Menschen nur durch unbändigen Fleiß und dem möglicherweise damit einhergehenden wirtschaftlichen Erfolg möglich sei, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, ob für ihn ein Platz im Himmel vorgesehen ist oder eben nicht. Kurz: Langeweile hatte schon immer einen schlechten Ruf.

 

Wer will sich schon langweilen?

Aus wirtschaftlicher Sicht wird mit Langeweile unproduktiv genutzte Zeit assoziiert. Die Annahme dahinter: Ein gelangweilter Mitarbeiter arbeitet entweder gar nicht oder eben nicht so gut, wie er könnte. Und in Zeiten von reduzierten Retainern, stetig schrumpfenden Budgets und zunehmender Projektarbeit, ist in Agenturen kein Platz mehr für Müßiggang. Die Kalender sind eng getaktet und selbst Mittagessen mit Kollegen müssen Wochen im Voraus eingeplant werden. Kapazitätenplanungen mit über 100% Auslastungsgrad sind keine Seltenheit. Für Langeweile ist da schon lange kein Platz mehr.

Aber selbst wenn ein Termin (nach hinten!) verschoben wird und sich plötzlich tatsächlich mal größere Lücken im Kalender auftun, werden diese oft nicht mit Müßiggang, sondern mit Ablenkungen jeglicher Art gefüllt. Dank Internet gibt es immer etwas zu tun. Und dank Smartphone wird selbst jede noch so kleine Wartezeit mit Tweets und Statusupdates gefüllt. Seitdem es das iPhone gibt, ist es also kein Problem mehr sich nicht mehr zu langweilen. Und mal ehrlich: Wer will sich schon langweilen?

 

Lieber Schmerz als Langeweile!?

Wie sehr wir Langeweile vermeiden wollen, zeigt ein kürzlich durchgeführtes Experiment der University of Virginia. Dabei wurden Studenten gebeten, sich bis zu 15 Minuten in einem leeren Raum aufzuhalten und dabei einfach nur ihren Gedanken nachzuhängen. Die Mehrheit beschrieb dies als eine äußert unangenehme Erfahrung. In einem darauffolgenden Experiment hatten die Studenten die Möglichkeit sich selbst einen leichten Elektroschock zu verpassen, wenn es ihnen zu langweilig wurde. Und erstaunlicherweise machten 12 von 18 Männern und 16 von 24 Frauen tatsächlich Gebrauch davon.

 

Kreatives Denken und Langeweile

Andererseits sollten wir vielleicht wieder lernen uns zu langweilen, denn in den letzten Jahren haben verschiedene Untersuchungen gezeigt, dass sich Langeweile auch positiv auf das kreative Denken auswirken kann. An der University of Central Lancanshire mussten die Probanden nur (!) 15 Minuten lang Telefonnummern abschreiben. Danach sollten sie möglichst viele Verwendungsmöglichkeiten für zwei Plastikbecher finden. Im Gegensatz zur Kontrollgruppe, die gleich die Aufgabe mit den Plastikbechern lösen musste, fanden die gelangweilten Probanden signifikant mehr Verwendungsmöglichkeiten. Das Ergebnis verbesserte sich sogar nochmals als die Probanden einfach nur im Telefonbuch lesen sollten, dadurch weniger fokussiert waren und Zeit hatten in Gedanken abzuschweifen.

Ein ähnlicher Effekt konnte in einem Experiment der Pennsylvania State University nachgewiesen werden. Dort mussten sich die Probanden zuerst eins von vier unterschiedlichen Videos ansehen, um sich auf eine bestimmte Stimmung zu „primen“. Diejenigen, die sich ein langweiliges Video ansehen mussten, erzielten beim darauffolgenden Assoziationstest deutliche bessere Ergebnisse als Probanden, die sich entspannende, traurige oder begeisternde Videos ansehen mussten.

 

Der evolutionäre Sinn von Langeweile

Anscheinend hilft uns Langeweile also zumindest kurzfristig verschiedene Arten des kreativen Denkens (linear, lateral, assoziativ) zu verbessern. Eine gängige Hypothese zu diesen Ergebnissen ist, dass ein möglicher evolutionärer Sinn von Langeweile ist, unser Gehirn zu kreativen Höchstleistungen anzuspornen. Denn fast ein Fünftel unseres gesamten Energieumsatzes gehen auf das Konto unseres Denkorgans. Und selbst wenn wir uns langweilen reduziert sich dieser Energiebedarf nur um knapp 5%. Damit wäre Langeweile eigentlich reine Energieverschwendung. Vergleichbar mit einem Porsche, der sich im Stop and Go durch den Berufsverkehr bewegt. Kurzfristig zwar tolerierbar aber auf Dauer nicht sinnvoll.

Einige Forscher glauben deshalb, dass Langeweile uns signalisieren soll, dass wir gerade nicht das tun, was wir tun wollen und uns gleichzeitig motivieren soll uns neue Beschäftigungen zu suchen.

 

Effizienzschraube zurückdrehen

Wenn es also stimmt, dass Langeweile die Kreativität fördert, sollten wir vielleicht also mal anfangen, die Effizienzschraube ein wenig zurückzudrehen und uns gleichzeitig angewöhnen der Versuchung zu widerstehen, jede freie Minute mit irgendwas zu füllen. Zumindest wenn Kreativität weiterhin als die zentrale mehrwertstiftende Kompetenz von Agenturen gelten soll.

 

 

 

 

 

Foto: Gajus | shutterstock.com

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