Erfolgsindikatoren als Währung einer Agentur-Kunde-Beziehung

Identifikation entsteht aus gemeinsamen Werten und daraus abgeleiteten Zielen. Genau die fehlen jedoch in vielen Agentur-Kunde-Beziehungen.

Von Alexander Ellhof, Geschäftsführer Dritte Kraft GmbH – Institut für Markenführung, Hamburg

 

„Werbung ist unsexy geworden“, klagt Stephan Rebbe in seinem Gespräch mit Hanna Grabbe, in dem er seinen Rückzug aus der Werbung erläuterte (ZEIT HAMBURG, 19.02.2015). Und weiter: „Leute auf Konzernseite sind Bewahrer und Angsthasen.“ Dabei scheint er nur einer von vielen zu sein. Das Verhältnis, insbesondere zwischen Klassischen Agenturen und ihren Kunden, ist in einer schwierigen Phase. Kreative Kampagnen finden fast nur noch in Paralleluniversen statt. Bärbel Egli-Unckrich nennt als einen Grund in ihrem Cannes-Fazit das „Identifikationsproblem der Kreativbranche“. Aus ihrer Sicht „hadern“ Werber damit, „dass sie im Tagesgeschäft schnöde Damenbinden, Familienautos, Sonnencremes und Burger verkaufen müssen“.

Ich stimme zu: „Identifikationsproblem“ ist eine treffende Beschreibung. Allerdings glaube ich, dass das Problem tiefer liegt. Es geht nicht um die mangelnde Identifikation mit dem Produkt, sondern um die Beziehung zwischen Agenturen und ihren Kunden. Identifikation entsteht aus gemeinsamen Werten und daraus abgeleiteten Zielen. Genau die fehlen in vielen Agentur-Kunde-Beziehungen. Und da es um Beziehungen geht, kann das Problem nicht allein bei den Agenturen liegen. Mit Sorge betrachte ich Unternehmen, die sich ausschließlich der Steigerung des „Share Holder Value“ verschreiben. Geld verdienen mag zwar ein Ziel sein, ist aber im kommunikativen Kontext kein Wert an sich. Marken brauchen, wie Menschen, andere Motive als Geld um langfristig erfolgreich zu agieren.

Was könnten solche Motive sein? Dazu ein Blick in die Vergangenheit: „Generate word-of-mouth for our advertising“ schrieben vor 20 Jahren namhafte Werbeagenturen in ihre Re-Briefings. Auf Basis solcher Ziele entstand Werbung, über die sich Menschen vor dem Fernseher, in Kneipen oder – wie zumindest in einem Fall dokumentiert – sogar im Fahrstuhl unterhielten. Heute ist von diesem Anspruch der Werber nur noch in Ausnahmefällen etwas zu spüren. Viele scheinen vor den Briefings der Kunden und vor deren Erfolgsindikatoren (KPI, Key Performance Indicators) endgültig kapituliert zu haben

 

Potentielle Erfolgsindikatoren bestimmen

In einem Gespräch mit HORIZONT nahm Christian Rätsch den Faden kürzlich doch noch einmal auf: „Wenn Kommunikation richtig gut ist, dann wird sie gesucht. Ziel einer Kampagne muss sein, dass sie die Menschen begeistert, dass sie sie ihren Freunden empfehlen und die User im Netz danach suchen.“ Die Antwort war symptomatisch für den Zustand der Branche: „Das ist doch ein unheimlich hoher Anspruch, den nicht mal ein Prozent der Werbung erfüllen kann. Darauf die ganze Kommunikation auszurichten, ist tollkühn.“ Aber genau solche KPI brauchen erfolgreiche Agentur-Kunde-Beziehungen. Und ein hoher Anspruch an sich selbst hat auf dem Weg zu kreativer Spitzenleistung noch nie geschadet. Leo Burnett formulierte einst: „When you reach for the stars you may not quite get one, but you won’t come up with a handful of mud either.“

Doch niemand muss nach den Sternen greifen. Auch bodenständige KPI können helfen, die „Angst“ der Kunden einzudämmen, und so eine kreativitätsfördernde Wirkung entfalten. Um derartig potente Erfolgsindikatoren näher zu bestimmen, hilft ein Blick über den Tellerrand.

In der Statistik unterscheidet man zwei Arten von Fehlern: α- und β-Fehler. Der α-Fehler bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, eine falsche Annahme irrtümlich als richtig zu betrachten. Dieser Fehler lässt sich durch statistische Testverfahren gut nachweisen. Der β-Fehler bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit der eine tatsächlich richtige Annahme irrtümlich als falsch betrachtet und die entsprechende Handlungsalternative daher nicht realisiert wird. Das Fatale daran: Dieser Fehler lässt sich selten bis gar nicht ermitteln.

Um diesen Sachverhalt auf die Werbung zu übertragen, gehen wir von der Hypothese „diese Kampagne wird die Welt verändern“ aus. Ist die Annahme falsch, wurde aber fälschlich als richtig betrachtet, wird die Kampagne im günstigsten Fall nicht bemerkt. Im ungünstigsten kostet diese Fehlentscheidung den Kopf des Entscheiders und führt zu einem wirtschaftlichen Schaden für das Unternehmen. Darum liegt die Vermeidung des α-Fehlers im rationalen Interesse der meisten Entscheider.

Umgekehrt verhält es sich beim β-Fehler. Die Wahrscheinlichkeit, mit der die richtige Hypothese „diese Kampagne wird die Welt verändern“ irrtümlich verworfen wird, lässt sich nicht ermitteln. Die Kampagne wurde ja nicht geschaltet. So wird der Fehler, den der Entscheider gemacht hat, nicht bemerkt. Diese Fehlentscheidung mag das Unternehmen zwar Millionen (zum Beispiel an entgangener Werbewirkung) kosten, bleibt aber in einem System mit Erfolgsindikatoren, die den β-Fehler nicht berücksichtigen, ohne Konsequenz.

Aus der traditionellen Dominanz des α-Fehlers und der Vernachlässigung des β-Fehlers ergibt sich eine ungünstige Bilanz für kreative, mutige Kampagnen. Folglich werden mehr von den Agenturen für genial gehaltene Kampagnen abgelehnt als freigegeben. Da hilft auch kein Appell an das Bauchgefühl oder die Forderung nach mehr Mut auf der Kundenseite. Wirtschaft findet nun einmal auf Basis (vermeintlich) rationaler Entscheidungen statt.

Der Weg zu „mehr Mut“ kann also nur über eine neue Balance zwischen α- und β-Fehler oder, in unserem Fall, α- und β-Erfolgsindikatoren führen. Anders als in der Statistik, sind β-Erfolgsindikatoren für die Werbung erfreulich gut definierbar.

 

Kunden und Agenturen gegenseitig in der Pflicht

Abhängig davon, welche Messgrößen im jeweiligen Agentur-Kunde-System vorliegen oder leicht zu erheben sind, hängt die Wahl der β-Erfolgsindikatoren natürlich vom Einzelfall ab. „Mundpropaganda durch die Werbung“ war ein Beispiel. Formuliert als „zusätzliche, kostenlose Reichweite“ und mit einer entsprechenden Quantifizierung versehen, ergeben sich daraus valide Ziele und entsprechende Erfolgsindikatoren.

Die Verbesserung der Werbeeffizienz, gemessen als Anteil an der Werbeerinnerung im Verhältnis zum Anteil an den Werbeausgaben, ist ein bodenständigeres Beispiel für alle, die nicht nach den Sternen greifen wollen.Im Bereich Social Media bieten sich Interaktionen mit einem Beitrag oder einer Seite an, da sie zu mehr organischer Reichweite führen. Hier ist allerdings, auch für sinnvolle Vergleiche mit Wettbewerbern, darauf zu achten, dass die Interaktionen ins Verhältnis zur erzielten Reichweite gesetzt werden.

Die Beispiele zeigen, dass β-Erfolgsindikatoren die kreative Leistung von Agenturen beflügeln und den oft beklagten „fehlenden Mut bei Entscheidern“ durch den Respekt vor den Risiken der Nichterreichung der ß-Erfolgsindikatoren ersetzen können. Sie zeigen aber auch, dass es sich bei Weitem nicht um einen Freibrief für Kreative handelt. Kunden und Agenturen nehmen sich durch die Einigung auf die richtigen Erfolgsindikatoren gegenseitig in die Pflicht. Positiv ausgedrückt, fördern und fordern sie kreative Leistung auf hohem Niveau und tragen dazu bei, Werbung wieder sexy zu machen.

 

 

Erschienen in: new business 30 / 30.07.2015

Foto: CLIPAREA I Shutterstock.com

 

 

 

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