Can I kick it? Planning von der Straße

Wie funktioniert eigentlich Planning? Antworten auf diese Frage lassen sich in Agenturen, an Universitäten und in Büchern finden. Und an Stellen, wo es nicht vermutet wird. Zum Beispiel im Hip-Hop. Hier sind fünf Dinge, die Planning von Hip-Hop lernen kann.

Von Benjamin Pleißner, Digital Strategic Planner bei Ogilvy & Mather, Düsseldorf.

 

Planning funktioniert wie Hip-Hop

Eine wesentliche Aufgabe von Planning ist es Ideen zu ermöglichen. Was konkret ist eine Idee? Nach James Webb Young ist eine Idee nicht mehr und nicht weniger als die Kombination von alten Elementen.1 Also auf Neudeutsch: ein Remix.

Die Hip-Hop-Kultur ist eine Remix-Kultur. Rap-Musik funktioniert nach dem Recycling-Prinzip. Etwas Bestehendes nehmen, umbauen, neu verbinden, um daraus etwas Neues zu schaffen. Im Hip-Hop heißt das Sampling. Sampling ist quasi das Grundprinzip einer Idee.

Zugegeben: Jede Form der Kreativität funktioniert nach diesem Grundgedanken. Deshalb finde ich James Webb Youngs Definition von Idee gut. Sie ist vereinfachend. Schlussfolgernd bedeutet sie auch: Je mehr „Elemente“ ich in meinem Fundus habe, desto eher ergeben sich daraus neue, spannende, inspirierende Kombinationen, sprich Ideen.

Als Planner brauche ich also viele „Elemente“. Wo finde ich diese „Elemente“? Überall. In der Straßenbahn. Im Biergarten. In der Schlange an der Kasse. Im Museum. In Büchern. In der Musik.

Hip-Hop ist für mich eine Quelle, in der ich viele „Elemente“ finde. Die Hip-Hop-Kultur hilft mir, mich bewusst meiner Betriebsblindheit zu entziehen. Mich selbst zu zwingen, eine andere Perspektive einzunehmen. Den Blickwinkel aktiv zu verändern und hoffentlich ein besserer Planner zu werden.

Hier sind fünf Dinge aus der Hip-Hop-Kultur, die mir klarmachen und mich von Zeit zu Zeit daran erinnern, worauf es bei erfolgreichem Planning ankommt.

 

#1 Reduktion auf das Wesentliche

„I think the potential for (rappers) to deliver a message of extraordinary power that gets people thinking (is massive). The thing about hip-hop today is it’s smart, it’s insightful. The way they can communicate a complex message in a very short space is remarkable“, fasste Barack Obama die Stärke von Hip-Hop in einem Interview mit Jeff Johnson von BET (Black Entertainment Television) 2008 treffend zusammen.2

Wenn es als Planner meine Aufgabe ist, Komplexität zu reduzieren, dann können mir Rapper dabei helfen. Denn viele von ihnen können genau das sehr gut. Und vielleicht hat Kanye West, Jan Delay oder ein anderer Rapper den nächsten Insight bereits gefunden und perfekt formuliert. Von guten Beispielen kann ich lernen. Und manchmal auch einfach kopieren oder klauen.

 

#2 Einen größeren Zugang zur Realität haben

Der Rapper Jay Z erklärt in seinem Buch „Decoded“, was Musiker aus seiner Sicht kreativer macht als andere Menschen, und warum das so ist. Er schreibt darin: „Artists can have greater access to reality; they can see patterns and details and connections that other people, distracted by the blur of life, might miss.“3 Für mich bringt das meinen Anspruch als Planner auf den Punkt. Ich benötige Mittel und Wege, mich eben nicht vom Alltag ablenken zu lassen, sondern das Besondere im Alltäglichen zu sehen. Ich sollte also mal wieder mehr Straßenbahn fahren und echte Menschen beobachten, statt „desk research“ via Google zu machen.

 

#3 Das Falsche ist menschlicher

„Switching off perfection switched on the human quality“, schreibt Ahmir „Questlove” Thompson – Mitbegründer und Drummer von „The Roots” – in seinen Memoiren „Mo’ Meta Blues: The World According to Questlove”.4 Er spricht dabei von der Quantisierungsfunktion von sogenannten Samplern. Mithilfe dieser Sampler lassen sich Samples aus Songs schneiden, neu anordnen und zu einem neuen Beat zusammenfügen. Die Quantisierungsfunktion ist eine Funktion, die quasi auf Knopfdruck menschliche Ungenauigkeiten korrigiert. Das Interessante daran ist, dass es genau diese Fehler und Ungenauigkeiten sind, die einem Song seinen Charakter, seine Spannung und seine Schönheit verleihen. Perfektion ist nicht menschlich. Und Menschlichkeit ist eben besser als Perfektion.

Ein zweites Beispiel ist der Hip-Hop-Musiker und Produzent J Dilla. Er ist berühmt für seine Produktionsweise – nicht den Regeln zu folgen und Dinge, entgegen der Norm, „falsch“ zu machen. „I used to listen to records and actually, I wouldn´t say look for mistakes, but when I heard mistakes in records it was exciting for me. Like, ‘Damn, the drummer missed the beat in that shit. The guitar went off key for a second.’ I try to do that in my music a little bit, try to have that live feel a little bit to it“, beschreibt er seine Begeisterung für Fehler in „Donuts“, dem Buch zur Entstehung des gleichnamigen Albums.5

In Zukunft sollte ich häufiger nach Fehlern statt nach dem Richtigen suchen. Denn das ist es, was es letztlich menschlicher macht. Was Marken menschlicher macht. Und Marken brauchen mehr Menschlichkeit und Persönlichkeit.

 

#4 Die Macht der Musik – Zeitgeist bewahren und bedienen

In „Mo’ Meta Blues: The World According to Questlove” beschreibt Questlove auch die wahre Macht von Musik: „Music has the power to stop time. But music also keeps time. Drummers are timekeepers. Music conserves time and serves time, just as time conserves and serves music.“6

Marken haben dieselbe Macht wie Musik. Und das Planning trägt die Verantwortung, mit dieser Macht umzugehen. Als Planner suche ich stetig nach Beständigkeit für Marken. Wie Musik bewahren und bedienen auch sie den Zeitgeist – mit jedem Stück Kommunikation. Planner sind Drummer.

 

#5 Es ist nicht vorbei, bis es vorbei ist

Wann ist ein Projekt oder eine Aufgabe abgeschlossen? Viele würden wohl zustimmen, dass die Veröffentlichung eines Ergebnisses einen Zeitpunkt darstellt, ab dem keine Änderungen mehr möglich sind und etwas abgeschlossen ist. So ist es bei Zeitungen, bei Büchern, bei Musik, bei Kommunikation. Doch die technischen Möglichkeiten ändern die Spielregeln.

Kanye West beschreibt sein „The Life of Pablo“-Album als „a living breathing changing creative expression“. Die Entstehung dieses Werks ist viel diskutiert. Erst sollte es „So help me God“ heißen. Dann kündigte Kanye West an, es hieße „Swish“. Und schließlich wurde es „The Life of Pablo“. Nachdem das Album exklusiv über den Streamingdienst TIDAL veröffentlicht wurde, fügte er noch Gesangsbeiträge hinzu, ließ Songs neu abmischen und änderte Songtexte. Und vier Monate nach der Veröffentlichung fügte er schließlich noch einen ganz neuen Song hinzu.7

Dieses Beispiel veranschaulicht: Es gibt heute den „point of no return“ nicht mehr. Eine Strategie, zum Beispiel, ist nicht fertig, wenn sie gebrieft ist. Es lohnt sich weiter zu hinterfragen, wie es besser geht. Wie lässt sich die Lösung an die sich stetig verändernden Gegebenheiten anpassen? Es ist eben nicht vorbei, bis es vorbei ist.

 

Der beste Weg, etwas Neues zu entdecken, ist, nicht dem Gewohnten und Offensichtlichen zu folgen. Viel spannender ist es, über den besagten Tellerrand zu schauen. Jede Disziplin, die wie Planning Ideen ermöglicht, eignet sich bestens, um von ihr zu lernen, zu adaptieren oder einfach auch zu kopieren. Keine Scheu.

 

1 James Webb Young: A Technique for Producing Ideas, 2003, S. 15.

2 https://www.youtube.com/watch?v=pFSVG7jRp_g.

3 Jay Z: Decoded, 2010, S. 205.

4 Ahmir „Questlove“ Thompson and Ben Greenman: Mo’ Meta Blues: The World According to Questlove, 2013, S. 153.

5 Jordan Ferguson: Donuts, 2014, S. 81.

6 Ahmir „Questlove“ Thompson and Ben Greenman: Mo’ Meta Blues: The World According to Questlove, 2013, S. 272.

7 https://www.musikexpress.de/jahresrueckblick-2016-hat-das-format-album-in-der-popkultur-noch-eine-chance-725046.

 

new business

Erschienen in: new business 12/ 20.03.2017

Quelle Titelbild: Benjamin Pleißner

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