Eine Strategie der Emotionen

Emotionales Marketing ist erfolgreicher. In der Strategie ist jedoch zu oft die einzige Rolle für Emotionen die Tonalität der Kommunikation. Oder die erwünschte Reaktion der Menschen. Das ist zu grob für so etwas Feinsinniges wie Gefühle. Was fehlt, ist eine Strategie, wie wir diese Emotionen in den Menschen erzeugen wollen. Eine Strategie, wie wir diesen stärksten Hebel für Wachstum nutzen.

Von Dr. Gordon Euchler, Head of Planning BBDO Düsseldorf.

 

Emotionale Kommunikation ist effektiver. Emotionale Kommunikation beeinflusst System 1 unseres Gehirns und schafft damit langfristige ‚Brand Preference’. Eine Analyse von über 1.400 Gewinnern des härtesteten Effektivitätspreises – des IPA – zeigt: Kampagnen, die auf Emotionen setzen, zeigen häufiger sehr starke Business-Effekte als rationale Kampagnen.[1] Auch in Deutschland erschaffen wir immer mehr emotionale Kommunikation: Weihnachten der Supermärkte, Muttertagsspots und auch schwule Liebesgeschichten der Bahn. Trotz dieser Erfolge gehen Strategen mit etwas so fragilem wie Emotionen noch sehr grob um. Vielleicht auch, weil Strategen ja die Denker in den Agenturen sind.

 

Strategie behandelt Emotionen stiefmütterlich.

Zu oft reden wir einfach von ‚emotionaler’ Kommunikation, ohne es weiter zu erklären – als gäbe es nur eine Emotion. Und selbst wenn wir dann doch klarer und präziser werden, ist der einzige Raum für Emotion in der Strategie die Tonalität und die erwünschte Verbraucherreaktion. Oder noch schlimmer: das Moodboard. Das Schmuddelkind ‚Emotion’ lebt in einer Parallelwelt von der sauber-rationalen Business-Strategie. Das ist nicht nur unfreundlich, sondern vor allem verpassen Strategen so einen wichtigen Wachstumstreiber. Was also fehlt, ist eine Strategie für Emotionen. Eine Strategie, die Emotionen nicht nur als Tonalität oder Endergebnis, sondern als treibendes Herz hat. Eine präzise Strategie, wie wir diese Emotion am besten, glaubwürdigsten und mitreißendsten hervorrufen können. Und klarmacht, wie wir sie an unsere Marke binden.

 

Emotionen müssen Business-Probleme lösen.

Um Emotionen in das Zentrum der Strategie zu bringen, ist die erste wichtige Frage: Wie können Emotionen helfen, unsere Business-Herausforderung zu bewältigen? Also müssen wir ganz sauber definieren: Was ist unser Business-Ziel, was ist die Hürde in den Köpfen der Verbraucher, die wir überwinden müssen, und wie helfen uns Emotionen, Menschen auf unsere Seite zu bringen? So ist von Anfang an klar, dass Emotionen mit an Bord sind, nicht weil der Stratege auf einmal weich geworden ist und auch mal ganz Deutschland zum Weinen bringen möchte. Sondern weil Emotionen ein strategisches Thema sind und sie uns helfen, Business-Probleme zu lösen.

 

Konkrete Emotionen wirken besonders.

Einfach nur Emotionen zu fordern, ist nicht genug. Es gibt so viele und je klarer ist, welche Emotion Marketing zum Erfolg verhilft, umso besser. Denn umso besser kann man Kreation an dieser Messlatte entwickeln. Mehr noch: Je spezieller diese Emotion ist, umso besser kann sie auch an die Marke gebunden werden. Wir alle wissen: Wenn gar nichts mehr geht, zeigt Werbung Kinder und Hunde. Die finden alle süß. Aber Kinder und Hunde sind dann auch alles, was hängen bleibt – und nicht die Marke oder gar das Produkt.

Also ist es wichtig, einzigartige und überraschende Emotionen zu definieren. So wie AOL es damals mit ‚The Internet is a good thing/The Internet is a bad thing’ schaffte, nicht blinden Optimismus zu verbreiten, sondern optimistische Vorsicht weckte. So wie der Telekommunikationsanbieter One2One nicht einfach nur Freude am Telefonieren oder tollen Empfang zeigte, sondern mit ‚Whom do you want to have a 1 to 1 with’ die Sehnsucht rührte, Menschen tiefer kennenzulernen. So wie Stella Artois’ ‚Reassuringly Expensive’ die schelmische Freude dramatisierte. Freude darüber, das beste Bier nicht nur zu haben, sondern es auf Kosten von jemanden anderen ergattert zu haben.

Und in diesen Fällen wird auch klar: Das ist keine emotionale Erpressung. Nur wenn man dem Produkt keine Rolle in dieser emotionalen Reise gibt, macht man sich schuldig. Aber das ist das kleine Einmaleins der Werbung und das muss ich niemandem hier erklären.

 

Strategie muss zuallererst menschlich sein.

Das bringt mich zum Kern von emotionaler Strategie. In all ihrer Neugier hat sich Strategie immer mehr Randgebiete angeeignet: Shopperstrategien, Micromoments, Medieninsights, Journey-Insights und vieles mehr. All diese Bereiche haben ihre Berechtigung. Aber wenn wir Emotionen hervorrufen wollen, müssen wir keine Medien- oder Technologiestrategie entwickeln, sondern zuerst einmal eine Strategie, die Menschen bewegt. Eine menschliche Strategie.

Eine emotionale Strategie. Das muss die bestmögliche Vorlage sein, mit Kreation genau das zu tun, weswegen Menschen seit Jahrtausenden an der Nadel von guten Geschichten hängen. Hier können sie emotionale Höhen und Tiefen wie Angst, Trauer, Wut, Überschwang und Liebe ausprobieren und genießen – ohne die Konsequenzen, die das im echten Leben nach sich zieht. Das ist das Geschenk, das gut erzählte Kommunikation den Menschen machen kann. Das ist der Türöffner, damit Menschen sich mit Marken auseinandersetzen und ihnen ihre Aufmerksamkeit schenken.

 

Ein Tool für Emotionen.

Das ist deutlich feiner als Strategie bisher. Das bedarf sehr viel Fingerspitzengefühl. Unsicheres Terrain nicht nur für die großen Denkerhirne, sondern definitiv auch für mich. Vielleicht – und das wäre das erste Mal in meinem Leben, dass ich diese Empfehlung ausspreche – braucht es ein zusätzliches strategisches Tool zum Kreativbrief. Das einfachste Tool der Welt. Das Tool ist, etwas zu finden – irgendetwas –, das die gewünschte Emotion so genau wie möglich hervorruft. Das kann eine Geschichte sein. Ein Film. Ein Spiel. Gedichte. Theaterstücke. Und vielleicht sogar eine Journey. Nicht eine Customer Journey, sondern die Journey, die Menschen durchlaufen müssen, um diese präzise Emotion zu fühlen. Eine Story, die Menschen mit auf diese Reise nimmt und die emotionalen Höhen, Tiefen und Erlösung aufzeigt.

 

 

Emotion ist das Endergebnis einer Journey.[2]

 

Und da dieses Terrain unsicher und schwankend ist, ist die Suche nach solchen Beispielen ein guter Weg, euch an eure Emotion heranzutasten und mehr über sie und die Menschen herauszufinden. Und eurem Kreativen einen unfairen Wettbewerbsvorteil[3] für Emotionen zu verschaffen – nur damit er euch zeigen kann, wie es wirklich geht.

Klingt schwierig? Ist es auch. Aber es ist es wert: Denn Emotionen für kommerzielle Zwecke hervorzurufen und zu einem Bestandteil der Business-Strategie zu machen, ist ein Wettbewerbsvorteil von Agenturen, der zum Beispiel für Unternehmensberatungen oder Mediaagenturen sehr schwer nachzuahmen ist. Emotionen wecken ist vielleicht die Zukunft und der Kern von dem, was Werbung und Agenturen besonders und erfolgreich macht.

 

[1] Les Binet und Peter Field (2013): ‚The Long and the Short of It’ unter Bezugnahme auf Daniel Kahneman (2011): ‚Thinking, Fast and Slow’.

[2] Charles Handys ‚Kurve des Lebens‘ war zentraler Bestandteil der ersten Kampagnen, an denen ich jemals gearbeitet habe. Und sie begleitet mich seitdem. Deshalb hier – wie immer: Danke John Lowery.

[3] Dave Trott.

 

new business

Erschienen in: new business 16/ 18.04.2017

Quelle Titelbild:Tatiana Bobkova

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