Markenlektionen made in China

Bei der Einführung erfolgreicher Marken im chinesischen Markt zeigen sich die kulturellen Grenzen der Anpassbarkeit, und die Notwendigkeit, Marken vertrauenswürdig zu positionieren. Die aktuellen Diskrepanzen zwischen Markeninszenierung und Produktrealität beweisen außerdem: Auch im Westen muss sich Markenführung neu erfinden.

Von Dirk Nitschke, selbstständiger Brand Consultant und Kommunikationsstratege in Hamburg und Berlin, Dozent an der China Academy of Art in Hangzhou.

 

Ben & Jerry’s gibt es in China nicht. Nicht etwa, weil Chocolate Fudge Brownie oder New York Super Fudge Chunk den Chinesen nicht schmecken könnte. Im Gegenteil. Entdecken die Chinesen doch in allen „Food & Beverage“-Segmenten die Lust an der Vielfalt, am individuellen Geschmack, an der Selbstverwöhnung und Abgrenzung von anderen. Aber die Prinzipien von Ben & Jerry’s sind kultursoziologisch wie konsumpsychologisch so uramerikanisch, dass sich die Marke neu erfinden müsste, um den Chinesen Appetit zu machen.

Da ist der hippieromantische Gründungsmythos: Zwei Freunde kreieren 1978 ihr eigenes Eis und gründen eine Firma, die 20 Jahre später für 345 Millionen Euro an Unilever verkauft wird. Da ist der rebellische Zeitgeist, im Nachwirken des Vietnamkriegs, dem Nachblühen von Flower-Power, im Aufbegehren gegen Politik und Establishment. Irgendwo tobt ein Kalter Krieg – nur nicht auf den Weiden von Vermont, wo die schwarz-weiß gescheckten Kühe stehen, das Gras grüner, der Himmel blauer und die Wolken weißer sind, was bis heute die illustrative Designwelt von Ben & Jerry’s prägt. Da ist die Markenhaltung: Ben & Jerry’s versteht sich von Anfang an als „Ethic Brand“, als Vertreter eines „Caring Capitalism“. Die Unterstützung lokaler Milchproduzenten, nachhaltiges Wirtschaften, die Gründung des „Ben & Jerry’s Climate Change College“ und das soziale Engagement für die Rechte von Minderheiten schaffen eine Marke, die sich als verantwortungsvoll und aktivistisch versteht. Eine unternehmenseigene Stiftung gibt jährlich 7,5 Prozent des Firmengewinns für wohltätige Zwecke aus; und die Mission verspricht, überall dort, wo das Unternehmen ist, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern.

Komplexe Spielregeln in China

In einem Land wie China, das in sehr kurzer Zeit Konsum nachholen will, greifen einige dieser erfolgreichen „Ben & Jerry’s“-Markenparameter allerdings nicht. Sie irritieren sogar. Individuelles Engagement? Umweltbewusstsein? Kapitalismuskritik? Konnte sich eine Marke im Westen als ein Vehikel der Weltverbesserung verstehen, das sich im Rahmen kapitalistischer Spielregeln bewegt und diese nutzt, um ihre Anliegen zu verbreiten, pendelt die fernöstliche Markenwahrnehmung noch zwischen faktischem Angebot und erwartungsvoller Nachfrage, im Sinne von Produktnutzen und -begehrlichkeit. Einer moralischen Intention, einer ethischen Haltung, die mehr will als verkaufen, wird noch nicht ausreichend vertraut.

Das sind gute Voraussetzungen für Marken, die erst einmal nichts anderes wollen: So hat sich Häagen-Dazs im chinesischen Markt als Premiumeis etabliert, indem es Konsumentenbedürfnisse, Vertriebsformen und Produktinnovation zu einem exklusiven Markenerlebnis formierte. Andere Luxusmarken im Genuss-, Automobil-, Mode- oder Kosmetiksektor profitieren ebenso von der Bereitschaft chinesischer Konsumenten, mehr Geld für Showeffekte, Selbstbelohnung und Selbstinszenierung auszugeben: Produkte und Marken aus „Fern-West“ dürfen teurer sein, weil sie Qualität, Lifestyle und Differenzierung versprechen.

Daraus allerdings abzuleiten, dass Hochpreisigkeit, eine westliche Herkunft und damit verbundene Qualitätsversprechen ausreichen, um chinesische Verbraucher auf der Überholspur zu erobern, greift nicht weit genug. Vor allem in der global orientierten Generation junger Chinesen entsteht eine eigene, selbstbewusste Konsumhaltung, die auf westliche Markenversprechen längst nicht pawlow-artig reagiert. Der Marktforscher Matthias Fargel fasst die chinesische Generation Y so zusammen: „Als Ausländer überschätzt man beim ersten Hinsehen zu leicht die Attraktivität westlicher Markenartikler und Lebensweisen. (…) Chinas Jugend mag in den Metropolen westlich, trendig und vertraut aussehen – doch ihre Treiber bleiben chinesisch komplex und schnell changierend.“ Er spricht von einer Betäubung der westlichen Unternehmensentscheider durch beeindruckende Absatzprognosen, was eine sensible Markenführung schnell unterwandern kann.

The Don’ts of Branding

Sensible Markenführung ist Vertrauensarbeit. Das verstehen die zukünftigen Markenmanager Chinas. Was sie nicht verstehen, ist, warum Ben & Jerry’s die Behauptung „All Natural“ als Slogan aufstellt, obwohl in 48 seiner Eissorten künstliche Zusatzstoffe nachweisbar sind. Die Marke mit der beeindruckenden Better-Brand-Heritage nimmt den Satz 2010 schließlich vom Markt. Und welches Markenverständnis zeigt sich, wenn die Positionierung von VW Kundenfokus propagiert, aber das Unternehmensmanagement durch die Manipulation von Abgaswerten Kundenvertrauen riskiert? Und was für ein Zielgruppenverständnis erklärt sich in einer Pepsi-Kampagne, die den Softdrink als Treibstoff einer Protestbewegung inszeniert, und damit einen beachtlichen Shitstorm echten Protests erntet? Wer ist hier markenpsychologisch und -technisch das „Entwicklungsland“, wenn das die Ergebnisse jahrzehntelanger Marken- und Kommunikationspraxis westlicher Prägung sind? „The Don’ts of Branding“ könnte ein Seminar betitelt sein, das diese Beispiele diskutiert – und konstatieren muss:

1.) Marken vertragen sich nicht mit der Überheblichkeit von Unternehmensverantwortlichen, die ihr Handeln nicht dem Marken- und Kundeninteresse unterordnen. Das bedeutet weiter gedacht: Marken sind Sache und Verpflichtung eines Oberen Managements, um Unternehmen und Marke widerspruchsfrei als Einheit zu verschweißen.

2.) Marken vertragen sich nicht mit der Ignoranz von Kommunikationsgestaltern. Es sind nicht einfach Botschaften in die Welt zu pusten in der Annahme, dass Konsumenten diese widerstandslos hinnehmen und sich zum Kaufen animiert fühlen. Was bedeutet: Markenkommunikation braucht die richtigen Seismografen, Kundenverhalten zu deuten und zu prognostizieren.

3.) Marken vertragen sich nicht mit einer kontinuierlichen Unterschätzung des Publikums. Behauptungen ohne Beweise oder Übertreibungen ohne Realitätsnähe bedienen sich aus der Reklame-Mottenkiste und ignorieren, was digitale Transparenz und geschultes Medien- und Marketingwissen längst bewirken: Konsumenten machen sich ihr eigenes Markenbild und hinterfragen die Glaubwürdigkeit emotionaler Inszenierungen, wenn diese zu offensichtlich der Verführung dienen.

Konfuzius, der Philosoph als Markenfachmann

Die chinesischen Konsumenten lernen im Schnelldurchlauf, dass nicht alles glänzt, was in der Werbung poliert wird. Die chinesischen Markengestalter werden weniger kopieren, sondern etwas Neues erschaffen, was den Traditionen des Marktes, der Mentalität der Menschen und den Eigenheiten ihrer Konsumströmungen entspricht. Vielleicht besinnt man sich in China auf Konfuzius und leitet aus den Weisheiten des Philosophen eigene Markentheorien ab. So etwas wie: „Wer aufrichtig ist, dem vertraut das Volk“, „An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter“ oder „Das Rechte erkennen und nichts tun, ist ein Mangel an Mut“.

 

 

new business

Erschienen in: new business 18/ 02.05.2017

Quelle Titelbild: DieAna / photocase.de

 

 

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