
Don’t become obsessed with the consumer
Aus der Feder eines Kommunikations-Strategen mag diese Aussage überraschen, ist die Rolle des Planners doch häufig als „Anwalt des Verbrauchers“ gegenüber den nicht immer mit der Konsumenten-Wirklichkeit kompatiblen Vorstellungen und Ideen von Kunden und Kreativen definiert worden. Doch in einer bestimmten Spielart ist es für den verantwortungsvollen Strategen einfach zu viel des Guten.
Von Knut Riedel, freier Strategy Director und APG-Vorstand, Hamburg
Natürlich ist diese Rolle nach wie vor sehr wichtig, beschäftigen sich doch zu viele Kunden immer noch viel zu sehr mit den Dutzenden überhaupt nicht uniquen Features ihrer Produkte oder mit den internen Ränkespielen der Unternehmens-Politik, und kaum mit der Frage, was denn davon überhaupt für die potenziellen Abnehmer ihrer Leistungen relevant sein könnte.
Im Angesicht eines explodierenden Angebots digitaler und sozialer Medien-Kanäle und neuerdings dem Influencer-Boom sahen wir uns in den letzten Jahren allerdings vor allem mit „logistischen“, „handwerklichen“ und „modischen“ Fragen konfrontiert: Welche Kanäle wählt man und welche sind schon wieder tot bei den Millennials? Welcher Mikro-Influencer passt zur Marke und wie lange ist er wohl noch hot? Wie muss der ideale Post in dieser Woche gestrickt sein, um optimalen Response zu generieren? Und wie orchestriert man eigentlich seinen YouTube-Film mit Snapchat und verzahnt das auch noch ideal mit einer programmatisch ausgesteuerten Audio-Kampagne?
Ausweichbewegungen
Wer Unklarheiten bei all dieser Technokratie hat (oder schlichtweg keine Lust, sich mit der Kleinteiligkeit solcher Fragen auseinanderzusetzen), der spielt gern die gute alte Trumpfkarte des Marketing: „Ja, alles schön und wichtig – aber zuallererst müssen wir uns doch fragen, wer da eigentlich genau auf der anderen Seite unserer Kommunikation steht.“
In der Tat legte ja genau diese Frage auch den Grundstein des Account Planning im London der späten 1960er-Jahre. Seit einiger Zeit bekommt sie durch Schlagworte wie „customer centric“ oder die Methodik des Design Thinking zusätzlichen Anschub aus einer ganz anderen Ecke– auch wenn man hier lieber vom „User“ als vom „Konsumenten“ spricht.
Der Verbraucher, das tief durchschaute Wesen
Entsprechend definiert man also eine Handvoll möglichst lebenswirklich beschriebener Zielgruppen-Personas. Sie alle bekommen klingende Namen, detailreiche und möglichst konkrete soziodemografische und psychografische Profile sowie ein weit gespanntes Produktverwendungs-Portfolio über alle möglichen Lebensbereiche (häufig aus ästhetisch-strategischen Gründen mit einer gewissen Untergewichtung von Handels- und Discount-Marken). Die Krönung bildet ein empathischer „deep dive“ in die mit der Produktkategorie verbundenen tiefenpsychologischen Grundspannungen, die den „peniblen Peter“ beim Rasierschaum, die „Übermutter Ulrike“ bei der Nahrung für Familienkater „Muschki“, „Cornelius, den Controller“ bei der Entscheidung für den richtigen Schraubenzulieferer sowie die „schicke Chantalle aus Chemnitz“ bei der Auswahl ihres nächsten Prepaid-Tarifs umtreiben.
Man beachte: Im Gegensatz zur derzeit stark proklamierten „harten“ Daten-Basierung speisen sich diese schillernden Persönlichkeiten weitgehend aus rein projektiven Zuschreibungen der Marketing-Experten, eventuell noch angereichert mit ein paar Zahlen aus Best-for-Planning oder VuMA. Denn die Ressourcen für eine fundierte Usage-and-Attitudes-Studie oder eine wirklich ernsthafte CRM-Auswertung stehen nur äußerst selten zur Verfügung.
Hinzu kommen dann in der Regel noch Persona-individuelle Customer Journeys. Diese zeigen dezidiert auf, dass sich der „rationale Rudolph“ in seinem Informations- und Entscheidungs-Prozess zwischen TV, Fachportalen, Facebook-Freunden, dem Händler vor Ort, unterschiedlichen Anbieter-Websites sowie den Ratschlägen seiner Kumpel in der Realwelt orientiert, während die „soziale Sophie“ sich lieber von Influencern per Instagram und YouTube (inklusive Pre-Roll-Werbeeinblendungen), der Drogerie um die Ecke, zahllosen WhatsApp-Gruppen, aktiver Google-Suche sowie den Tipps ihrer älteren Schwester inspirieren lässt.
Das ist alles nicht verkehrt und kann mitunter sogar zu echten Durchbrüchen bei Marketing-Management und Agentur führen. Es ist auch hier eher die Dosis, die das Gift macht!
„Viel Information“ bedeutet nicht „klare Strategie“
Denn unfokussierte Informationsfülle – gern verkauft als extensive „consumer insights“ – treibt Kreative regelmäßig in die Orientierungslosigkeit oder gleich ganz in den Wahnsinn.
Was vorgeblich hilfreich als „Hey, das könnte euch doch auch noch inspirieren“ daherkommt, verwandelt sich unversehens in „Und wo haben Sie dies hier konkret berücksichtigt?“ Denn hat man sich als Kunde (und gern auch als unbedarfter Stratege oder Berater) so viel Arbeit mit der „Vorbereitung“ (aka „Briefing“, richtiger: „Anhang zum Briefing“) gemacht, dann weckt das zusammengetragene Daten-Kompendium nahezu automatisch auch Erwartungen, dass sich die Lösung entsprechend umfassend und Insight-spezifisch anfühlen muss.
Indes: Bei dieser „intensiven Vorbereitung“ handelt es sich allzu oft um an entscheidenden Punkten dann doch noch lückenhafte Fleißarbeit, die zwar das Wissen vermehrt, aber allzu schnell in „information overload“ übergeht.
Verdichtung und Fokussierung
Hier ist der Stratege aufgefordert, sich vom „Anwalt des Verbrauchers“ zum „Anwalt sinnvoller und zielgerichteter Inspiration der Kreativen“ zu wandeln.
In der Rollen-Bezeichnung „Stratege“ kommt dabei expliziter als in „strategischer Planer“ oder „Planner“ zum Ausdruck, worum es im Kern geht: Die Verdichtung und Fokussierung von relevanten (und hinreichend validen) Informationen zu groben Stoßrichtungen für sinnvolle und zielführende Lösungen des definierten Problems. (Und das schließt heutzutage Produkt-Neuentwicklungen oder Service-(Re)Design eindeutig ein.)
Die zentrale Aufgabe des Strategen ist die Eingrenzung der verfügbaren Informationen auf solche, die wirklich relevante Implikationen für das anschließende Ideen-Feuerwerk liefern. Gerne können Daten auch spekulativ und tiefenpsychologisch sein – es muss eben nur klar sein, in welche Richtung sie den Lösungsraum öffnen sollen. Das kann in drei unterschiedlichen Feldern geschehen:
- Strategisch interessante Anknüpfungspunkte für Kommunikations-Inhalte (Content).
- Strategisch interessante Anknüpfungspunkte für Lebenserleichterungen (Services).
- Strategisch interessante Anknüpfungspunkte für eine besonders effektive und effiziente Auswahl der Kommunikationskanäle (Channel Planning).
In diesem Zusammenhang ist der Stratege auch als Prozess- bzw. Ressourcen-Berater für den Kunden gefragt. Es gilt klarzumachen, wo „mehr vom selben“ die Arbeit eher behindern würde und welche weniger auffälligen Informations-Lücken noch dringend geschlossen werden sollten.
Am Ende ist „Konsumenten verstehen“ nur ein Teilaspekt des vielfältigen Aufgabenspektrums eines modernen Strategen – denn seine wesentliche übergeordnete Aufgabe ist es, den Prozess der Lösungsentwicklung in geordnete und nachvollziehbare Bahnen zu lenken.
Erschienen in: new business Nr. 14/ 03.04.2018
Quelle Titelbild: Luca Santilli@shutterstuck.com