Recruiting – Raus aus der Old School-Ecke

Aderlass in den Planning Departments. Den Agenturen gehen seit einigen Jahren die Strategen verloren. Gutes Talent zu finden ist schwierig – es langfristig zu binden eine Herausforderung.

Von Dagmar Hübner, Gründerin der Personalberatung The People Business

 

Digital, disruptiv, smart. Schlaue Denker mit intellektueller Flughöhe und umfassendem Markenverständnis, die aus Daten relevante Insights generieren, um damit innovative Multi-Channel Konzepte entlang der Customer Journey zu konzipieren. Inspirierende Sparringspartner und Kundenversteher, super Präsentatoren und außerdem noch NB Waffe. So oder so ähnlich lauten die Anforderungen an den idealen Strategen – nur: die gibt’s kaum noch in den Agenturen. We are sold out of Talent. Aus verschiedenen Gründen: die Grundgesamtheit ist kleiner geworden. Es wird weniger professionell ausgebildet (es gab Zeiten, in denen Junioren ihres Talents wegen als Investition in die Zukunft eingestellt wurden) und uns sind die Planning Schulen verloren gegangen. Mentoren und kluge Köpfe mit Strahlkraft, die Talent erkannt und gefördert haben. Da wurden Methoden und Denkschulen gelehrt, Strategien sauber abgeleitet und mit Kreation und Kunde in Echtzeit diskutiert. Und zwar ex ante, nicht ex post. Mit Zeit und Raum für kluge Gedanken, oft in vor Termindruck, operativem Kleinkram und Deadlines geschützten Räumen.

Okay, die Wertschöpfung des Agenturbusiness hat sich stark verändert und damit die Anforderungen an das Personal. Komplexität und Kanalvielfalt sind enorm gestiegen, Data Analytics zu beherrschen ist inzwischen ein echter USP und Social Media oder Content Marketing als Berufsziel attraktiv.

Ein weiterer Grund: die Teilung der Agenturbranche in Deutschland (immer noch wird der Markt in PR, Digital, Kreativ, Content, Social Media Agenturen aufgeteilt, in den Köpfen, den Rankings, der Journaille) zeigt sich auch im Talentmarkt. Der (Channel-) Planner einer Digital Agentur zum Beispiel verknüpft Kanäle, entwickelt Personas und tech-basierte Costumer Journeys und kommt oft aus dem UX oder Konzeptbereich. Mit Marke und Storytelling hat das nicht mehr viel zu tun. Et vice versa.

Branchensilos aufbrechen

Erstaunlich, dass es immer noch so wenig sicht- und spürbaren Austausch zwischen den Digital- und sogenannten Full-Service Agenturen gibt, häufig noch nicht mal da, wo die Agenturen über ihr Network miteinander verbunden sind. Die Reihe läßt sich munter fortsetzen: Mediaagenturen können einen echten Mehrwert zum Thema Data Analytics liefern, Design Agenturen Brandingkompetenz und PR Agenturen Content-Know-how addieren. Das ist ein kluges Kollaborationsmodell und sicher ein Ansatz, um Barrieren und damit den Talent-Markt aufzubrechen, zu vermitteln und zeitgemäß auszubilden. Übrigens ganz bestimmt im Sinne der Talente.

Die nämlich suchen nach Innovationen, Disruption und digitalen Produktideen. Und glauben, die immer weniger im Agenturbusiness zu finden. Wir verlieren seit Jahren gute Leute in die Selbständigkeit, an die Innovation Hubs der Konzerne, die Start-Up-Industry, Googles und Facebooks oder Digital Labs der McKinseys, BCG’s oder Accentures. Die mit breiter Brust und einem sehr guten Employer Branding im gleichen Teich fischen wie die Agenturen und selbstverständlich den Design-Thinking-Kurs am Hasso-Plattner-Institut finanzieren, weil sie nämlich verstehen, dass sie damit dem Mitarbeiter und natürlich auch dem Unternehmen einen echten Mehrwert ermöglichen. Mal ganz abgesehen von der Inspiration, die neues Denken in Gang setzt. Und ja, ein kluger Stratege ist eigentlich nicht käuflich, aber bis zu 40 Prozent höhere Gehälter sind dann doch ein Wort. Auf den ersten Blick zumindest, beim zweiten zeigt sich dann mitunter, dass das Gras auf der anderen Seite nicht unbedingt grüner ist. Sondern möglicherweise der Wirkungsgrad kleiner, weil meistens auf eine Marke oder Kategorie festgelegt, die Hierarchie-Stufen höher, die Freiheit des kreativen Denkens in Silos kaum gegeben, der Cultural Fit dann doch nicht 100-prozentig stimmt.

Neue Rollenmodelle für Strategen

Hier liegt die Chance der Agenturen: Kaum eine Industrie ermöglicht ihren Talenten, in unterschiedlichsten Kategorien und Kanälen Erfahrung zu sammeln. Und ohne Hierarchien überwinden zu müssen, qua Persönlichkeit, Engagement und natürlich Kompetenz schnell Verantwortung zu übernehmen (womit sich dann auch das Gehalt auf Konkurrenz-Niveau entwickeln kann), im Idealfall vernetzt und mit internationalem Austausch. Wenn es der Branche dazu noch gelingt, New Work-Modelle zu etablieren, dann reden wir über zukunftsfähige Jobs. Nur – kaum einer kennt sie.

Wir brauchen definierte, nach außen sichtbare Berufsbilder der neuen Rolle(n) der Strategen und eine dringende Korrektur der Branche im Absolventen- und Professionalmarkt. Häufig sind die Agenturen weiter in der digitalen Transformation als von außen sichtbar (kaum zu glauben, dass das Employer Branding der Branche so vernachlässigt wurde), mit klugen Köpfen und Kunden, die selbstverständlich Innovationen brauchen, Beratung fordern und ihre Teams challengen. Die interdisziplinäres Arbeiten zunehmend etablieren und einfordern oder Innovation Labs gemeinsam mit ihren Kunden gründen, um hier die besten Talente zu (ver)binden – das alles gibt es schon und zeigt Erfolge. Und es wäre doch wunderbar, wenn sich daraus die Planning Schule 4.0 entwickeln würde.

Die Agenturen müssen raus aus der Old-School Ecke, ihre New Work- und Kollaborations-Konzepte in den Markt tragen und Role Models etablieren. Und endlich den Schritt von der Defensive in die Offensive wagen.

 

 

 

 

 

Erschienen in: new business Nr. 20/ 14.05.2018

Quelle Titelbild: ImageFlow@shutterstuck.com

 

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