Employer Branding strategisch denken

Der Zwang zur Veränderung und die aktuelle Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft erfordern bei der Aufstellung von Organisationen ein anderes Denken und Handeln.

Von Rotraud Diwan, Business Director Employer Branding, ab 1. August 2018 bei ressourcenmangel.

 

Employer Branding ist für viele das, was von einem Unternehmen sichtbar wird, wenn neue Mitarbeiter gesucht werden: Recruiting-Aktivitäten in all den zur Verfügung stehenden digitalen und analogen Kanälen. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Die mittlerweile geschäftskritische Herausforderung, passende Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Positionen zu haben, wirft ein Unternehmen zunächst einmal auf sich selbst zurück: Der erste Blick führt nach innen auf Prozesse, Organisationsstrukturen, Führung, Kommunikation und Kultur. Welche Prinzipien sind handlungsleitend – Marge oder Mensch? Und wie soll es in Zukunft laufen?

Der Veränderungsdruck in den Unternehmen ist hoch, der aus aktuellen Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik erwächst (Buzzword-Sammlung, unsortiert: Fachkräftemangel, Digitalisierung, Technologie, künstliche Intelligenz, Augmented und Virtual Reality, neue Wettbewerber mit disruptiven Geschäftsmodellen, New Work, Agilität, Gig Economy, Generationsthemen, Sharing Economy, Globalisierung, Nachhaltigkeit).

In diesem Spannungsfeld gilt es, einen klaren Blick dafür zu entwickeln, wie sich eine Organisation im Sinne des Menschen aufstellen kann. Wer überhaupt ein passender Mitarbeiter ist. Welche Kompetenzen heute notwendig und für die Zukunft gefordert sind. Und wie Arbeit sich innerhalb einer Organisation verändern sollte, damit sie ins Leben passt.

 

Den Blick fürs große Ganze schärfen

In diesem Kontext sind Employer Branding und Employer Brand Management zunächst einmal strategische Aufgaben, die in einem engen Zusammenhang mit den notwendigen Veränderungsprozessen auf unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen stehen.

Zu einem späteren Zeitpunkt kommen wie in jedem Branding- oder Changeprozess umfassende interne und externe Kommunikationsaufgaben auf den Tisch – an dieser Stelle steht jedoch der strategische Aspekt im Vordergrund, denn gerade hier öffnet sich für Planner ein vielschichtiges Betätigungsfeld. Das Szenario lässt sich kurz beschreiben: Der Mensch als komplexes System trifft auf eine Organisation, die in der Regel ebenfalls ein komplexes System ist. Gewürzt ist das Ganze mit dem, was in der Welt gerade los ist, und jeden Einzelnen mehr oder weniger umtreibt.

Für Strategen heißt das, ein noch weiteres Feld zu bespielen als bisher. Sich mehr als Unternehmensberater mit starker kommunikativer Expertise zu verstehen und Wissen aufzubauen aus den Themenfeldern Human Resources, Organisationsdesign und -psychologie. Zusätzlich zu den Trends und Entwicklungen, die eh schon auf dem Radar sind. Mit diesem vollen Kopf steigt man dann in die Analyse ein, um mit qualitativem und quantitativem Research dem Unternehmen auf den Grund zu gehen, unterschiedliche Perspektiven möglichst diverser Stakeholder auf die Ist-Situation einzufangen, Zukunftsbilder zu zeichnen, Optionen und Lücken sichtbar zu machen.

 

Von der Marke zum Markenerlebnis

Häufig ist die Definition oder Anpassung einer Arbeitgebermarke Kernstück eines Auftrags. Wenn ein Markenversprechen in Form einer Employer Value Proposition formuliert ist, fängt aber die eigentliche Arbeit erst an. Dann geht es daran zu überprüfen, ob die unterschiedlichen Erlebnisse, die ein Mitarbeiter beziehungsweise Kandidat mit einem Arbeitgeber hat, den Markenattributen entsprechen oder nicht. Wenn ein Unternehmen sich als Arbeitgeber mit digitaler Technologie abgrenzen möchte, interne Unternehmensdaten aber nicht mobil und vernetzt nutzbar sind, passt das nicht zusammen. Wenn Verantwortung versprochen wird, einzelne Führungskräfte aber zum Mikromanagement tendieren, kommt es zum Bruch im Erleben der Arbeitgebermarke. Mit weitreichenden Folgen für die Motivation des Mitarbeiters und seine Loyalität dem Unternehmen gegenüber.

Leider zeigt die Erfahrung, dass viele Unternehmen diesen wichtigen Teil des Employer-Branding-Prozesses gern überspringen und sich, den Druck der zu besetzenden Positionen im Nacken, gleich in die Kommunikationsaufgaben stürzen wollen. Damit verpassen sie die Chance, ihr Unternehmen am neuen Markenbild auszurichten, Überflüssiges über Bord zu werfen und Passendes zu installieren. Und damit die Chance, als Arbeitgebermarke von innen heraus ein wiedererkennbares Profil zu entwickeln. An dieser Stelle sind Employer-Branding-Strategen als Sparringspartner gefordert, um hier auch mal ganz intensiv auf die Notwendigkeit der internen Betrachtung hinzuweisen.

 

Bewährte Methoden anwenden

Für diesen auf die Organisationsprozesse und das Verhalten innerhalb der Organisation ausgerichteten Teil der Arbeit muss das Rad nicht neu erfunden werden: Schnittstellen und die konkreten Touchpoints zwischen Menschen und Unternehmen werden mit überwiegend bekanntem Handwerkszeug identifiziert. Prozesse werden analysiert, um dann deren Qualität zu bewerten und sie gegebenenfalls arbeitgebermarkenkonform zu verändern und darüber zu berichten. Employee Experience, Candidate Journey, Employee Centricity, Personas, HR-Analytics – schon anhand des üblichen Fachjargons ist klar, dass auch im Employer Branding die Methoden, Systematik und die Toolbox der klassischen Marken- und Strategiearbeit Anwendung finden.

 

Die eigene Arbeit anders erleben

Einen gravierenden Unterschied zur Strategiearbeit in der klassischen Markenkommunikation gibt es allerdings, und der betrifft die Erlebniswelt des Strategen selbst: Die Tragweite des eigenen Tuns kann sich verändern. Auf der operativen Ebene lassen sich die zu besetzenden Jobs als Produkte betrachten, das Unterschreiben eines Arbeitsvertrags als Kaufprozess, das Verweilen in einem Unternehmen als Markenloyalität. Der Kontext Arbeit sorgt jedoch per se für eine höhere Relevanz im Leben eines Menschen. Die Zahnpasta, die nicht schmeckt oder zu doll schäumt, wird nicht wieder gekauft. Ein Streaming-Dienst wird gewechselt, ein Rasenmäher verschenkt. Ein Job, der nicht der richtige ist, hat weitreichendere Konsequenzen – das soziale Umfeld verändert sich, der Lebensmittelpunkt wandert unter Umständen in eine andere Stadt, ein anderes Land oder einen anderen Kulturkreis, die Gesundheit hängt daran und meistens auch die grundsätzliche Sicherung der Existenz. Für einen Strategen und die persönliche Sinnfrage in Richtung des eigenen Jobs können Employer-Branding-Projekte einen Unterschied ausmachen auf dem Weg zum Arbeiten 4.0 (siehe New Business 27/2018).

Hier könnte dann auch das Employer Branding der eigenen Agentur ins Spiel kommen. Aber das ist ein separates Thema …

Erschienen in: new business Nr. 31/ 30.07.2018

Quelle Titelbild: 

nikkytok@shutterstuck.com

 

 

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