
Kampagnen des Jahres 2018 – APG Vorstand gibt Favoriten preis
Jedes Jahr starten etliche Werbe-Kampagnen. Für 2018 erläutert der Vorstand der Account Planning Group seine Lieblingsarbeiten. Diese reichen vom Segment Mode über Food bis hin zu Beauty.
Bei Wettbewerben wie Cannes Lions, ADC Deutschland oder auch dem Effie werden alljährlich eingereichte Arbeiten auf Herz und Nieren geprüft. Doch was macht eine gelungene Kampagne aus? Kreativität, Effizienz oder Strategie? Es ist sicherlich ein Ergebnis aus allem.
Der Vorstand der Account Planning Group verrät, welche Arbeiten ihn in 2018 beeindruckt haben und warum. Darunter sind längere Branding-Projekte von Dove oder auch der BVG, aber auch Einzel-Maßnahmen wie der Pedigree-Selfie-Stick mit Leckerli-Halterung und Cases, die die Welt verändern könnten wie Nikes ‚Believe in something‘ oder auch Unicefs ‚Game Chaingers‘.
Antje Kroon
Dove: ‚Schönheit, die unter die Haut geht‘
Seit Jahren bleibt die Marke Dove ihrer Leitidee „Wahre Schönheit“ treu und interpretiert diese Vision auf immer neue Art und Weise, um die Vielschichtigkeit von „wahrer“ Schönheit zu zeigen. Doch dieses Jahr ist Dove mit der neuen Body-Lotion-Kampagne noch einen Schritt weiter gegangen als in den Jahren davor: Die Frauen, die in der Kampagne zu sehen sind, wurden nur anhand ihrer persönlichen Geschichten ausgesucht. Die Marketing-Verantwortlichen wussten bis zum Tag des Fotoshootings nicht, wie die ausgewählten Kandidatinnen aussehen.
Die Idee der Kampagne basiert also darauf, die Schönheit zu zeigen, die tiefer geht, und die man nicht direkt auf den ersten Blick sieht. Denn Frauen, die sich in ihrer Haut wohlfühlen, strahlen dieses Selbstbewusstsein auch automatisch aus – ganz egal, ob sie auf den ersten Blick zum gängigen Schönheitsideal gehören oder nicht. Mit den starken und emotionalen Geschichten dieser „Botschafterinnen“ unterstreicht die Marke Dove einmal mehr und mutiger als je zuvor ihre Vision, dass Schönheit eine Quelle des Selbstvertrauens und nicht der Selbstzweifel sein sollte, und inspiriert erneut dazu, sich so anzunehmen, wie man ist.
Eine starke Kampagne, die neue Maßstäbe setzt und dabei voll auf den Markenkern einzahlt.
Sven Grammes
BVG: ‚Weil wir dich lieben‘
„Nur Originale, kein Duplikat, Standard.“ Bei den ganzen Weihnachtswerbefilmen fällt es schwer, eine originelle und differenzierende Idee (hinter den exorbitanten Produktionsbudgets) zu finden. BVGs „Weil wir dich lieben“ ist hingegen ein gewieftes Beispiel für strategische und kreative Exzellenz in diesem Jahr. Nicht nur 2018, aber auch. Seit 2015 schaffen es die BVG, GUD.berlin und Jung von Matt mit entwaffnendem Humor, dass das, sagen wir, suboptimale Produkt deutlich positiver wahrgenommen wird.
Strategisch interessant ist genau dieser Humor: er ist spitz, er ist übertrieben, er ist aber vor allem aufrichtig. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) stehen aufrichtig zu ihren eigenen Fehlern. Gleichzeitig feiern sie ostentativ humorvoll mal individuelle Unzulänglichkeiten ihrer Kunden, mal ihre Diversität, um ihre emotionale Ablehnung der BVG zu überwinden. Die Kampagne schafft damit mehr, als einfach nur die BVG positiv darzustellen: Sie kreiert scheinbar nebenbei ein neues Narrativ, um unterschiedliche Meinungen zusammenzubringen und Konflikte zu lösen. Aufrichtiger Humor tritt als ein Schlüssel für eine zeitgemäße Diskussionskultur auf.
Aufgeschlossen und witzig wird dieses Narrativ dann auch noch jeden Tag aufs Neue interpretiert. Und zwar zwischen Späti und Dönerbude, nicht zwischen Airport-Lounge und Meetingraum. Dass da immer mal wieder auch geile Filme bei rumkommen, schafft dankenswerterweise Aufmerksamkeit für die konstante strategische Meisterleistung.
„Is de, is de, is de Gude!“
Maik Hofmann
Nike: ‚Believe in Something (Dream Crazy)‘
Zum 30-jährigen Jubiläum des Claims „Just do it!“ zeigt Nike auf atemberaubende Art und Weise, welche Kraft in der Marke steckt. Der weltweit führende Sportartikelanbieter versteht es dabei wieder einmal virtuos, sich auf die Seite der Underdogs zu schlagen. In diesem Fall vor allem auf die Seite Colin Kaepernicks, dem ehemaligen Quarterback der San Francisco 49ers. Kaepernick hatte mit seiner „kneeling“-Aktion während der amerikanischen Hymne seinen Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgedrückt. Der Gegenwind – unter anderem durch Donald Trump persönlich – war so groß, dass ihn inzwischen kein Profiteam mehr beschäftigen möchte. Indem Nike Colin Kaepernick unter Vertrag nahm, stellten sie sich aktiv gegen Diskriminierung. Die Marke musste bewusst in Kauf nehmen, Kunden zu verlieren, um der eigenen Haltung und natürlich der ihrer Kernzielgruppen gerecht zu werden. Denn Nikes Mission könnte inkludierender nicht sein: „To bring inspiration and innovation to every athlete in the world. If you have a body, you are an athlete.“ Die Botschaft lautet also, glaube an dich und deine Überzeugungen – auch wenn es sonst niemand tut. „It’s only crazy until you do it.“
Die Kampagne entspringt also nicht nur einem Kalkül, keiner reinen Abwägung von Opportunitäten. Die Marke beweist Mut und bleibt ihrer Haltung, ihrer Markenpassung treu. Vielfalt, Freiheit und vor allem Selbstverwirklichung – der Kern des amerikanischen Traums.
Der Rest ist Geschichte, die Zahlen sprechen für sich: über 8 Millionen Google-Search-Treffer, über 27 Millionen Views allein auf Nikes YouTube-Kanal – aber am wichtigsten plus 31 Prozent Online-Sales.
Lars Fieck
REWE: ‚Du bist Zucker‘
Jahrzehntelang wurde propagiert, dass Fett für Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Herzleiden und Diabetes verantwortlich sei. Trotz Diätprodukten und fettreduzierter Lebensweise nahmen diese Beschwerden jedoch stetig zu. Heute wissen wir, dass erhöhter Zuckerkonsum der eigentliche Auslöser für diese Erkrankungen ist. Wie weist man jedoch seine Kunden darauf hin, ohne zum Spielverderber und Spießer zu werden? Mehr noch, wie kann man seine Marke als Vorreiter einer zuckerreduzierten Lebensweise positionieren?
REWE schaffte es mit ihrer Kampagne „Du bist Zucker“, seine Kunden über die Hintergründe und Folgen von zu starkem Zuckerkonsum ohne erhobenen Zeigefinger zu informieren. Der Handelsriese bot ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, einen daraus resultierenden Wunsch nach veränderter Ernährung auch direkt umzusetzen. Dabei integrierte REWE seine Kunden geschickt in die Produktentwicklung und präsentierte ihnen die Auswahl von drei Zuckerstufen, aus denen sie selbst wählen konnten. Der Schokopudding mit 30 Prozent weniger Zucker wurde später ins Sortiment aufgenommen.
thjnk und REWE gelang es nicht nur, eine integrierte und sympathische Kampagne für ein schwieriges Thema zu entwickeln. Das Zusammenspiel von Insightgenerierung, Produktentwicklung, Kundenintegration, Kampagne und Trendsetting war zudem sehr erfolgreich und brachte einen „GWA Silber Effie“.
Ein gutes Beispiel dafür, dass Strategie-Support durch Agenturen zu einem Ergebnis führen kann, das weit über klassische Werbung hinausgeht.
Anna Hoehn
RXBAR: ‚No B.S.‘
Eine der Kampagnen des letzten Sommers, die ich selbst gerne gemacht hätte, ist die „No B.S.“-Kampagne von Wieden+Kennedy, Portland, für den Protein-Riegel RXBAR.
In einem Umfeld, in dem alle versuchen, neue Käufer mit immer tolleren Ingredients für sich zu gewinnen, kommt diese Kampagne völlig ohne Cranberry-Porn und Selbstoptimierungs-Gerede aus und kontert stattdessen mit kühler Selbst-Ironie und unkonventioneller Offenheit.
Spokesperson der Kampagne ist der Rapper Ice-T, der perfekt zur Maskulinität und Schnörkellosigkeit der Marke passt. Er sagt Dinge wie „Hi, I am famous and this is a commercial“ oder „This really wasn’t worth turning your sound on for“.
Die Out-of-Home-Kampagne arbeitet mit Headlines wie „A really big poster“ oder „This is a headline“. Dazu sieht man nicht mehr als die neu designte RXBAR-Packung, die die Zutatenliste auf der Frontseite trägt, und am Ende zahlt alles auf den ungewöhnlich konsequent umgesetzten Gedanken „No B.S.“ ein.
Der Kampagne gelingt damit dreierlei, sie bricht die Regeln der Kategorie durch radikale Reduktion, Boldness und Direktheit, sie macht Produkt und Marke gleichermaßen bekannt, stellt aber die Marke ins Zentrum, denn sie ist es, die den Unterschied macht – nicht längst austauschbar gewordene Ingredients und Produkteigenschaften.
Nicht zuletzt aber erreicht der neue Auftritt für RXBAR all jene, die es zu schätzen wissen, wenn einer zur Abwechslung einfach mal sagt, wie es ist.
Dennis Hofmann
Gillette: ‚Handle with Care‘
„Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.“ Das sagte mal Rolf Rüssmann, einst Fußballer, später Fußballmanager. Dieses Zitat scheint auch häufiger Credo zu sein, wenn es darum geht, Rasierer an den Mann zu bringen. Die Anzahl der Klingen, die Rasur bis zur Perfektion, alles für die Eitelkeit. Wie erfrischend war es deshalb zu sehen, wie Gillette und Grey New York 2018 mit „Handle with Care“ einen anderen Weg gingen. Und wie schön vor allem zu sehen, dass Gillette verstanden hat. Nämlich, dass sich auch das Selbstbild der Männer verändert.
Der Shift von „Me to Care“, vom egozentrischen Eitelkeitsfokus zum Kümmern um den vormals starken Vater, trifft nicht nur das Herz, sondern vor allem den Nerv der Zeit. Einer Zeit, in der Männer nicht mehr nur stark sind und sein müssen. Ein Produkt wie den beworbenen TREO nachzuhalten – speziell dafür designt, um andere zu rasieren –, ist dabei nur konsequent. Und auch wenn man nicht davon ausgehen muss, dass hier Absatzrekorde gebrochen werden, macht Gillette einen starken Punkt.
Wer hätte bisher gedacht, dass ein Rasierer für mehr steht als die eigene glatte Haut?
Strategisch betrachtet ist das Ganze also nicht nur schön, sondern vor allem klug. Strategisch gedacht hat Gillette es geschafft, ihrer Marke und ihrem Produkt eine Rolle zu geben, die größer ist. Sollte daraus mehr erwachsen als ein One-Hit-Wonder, hat Gillette die Chance, eine Plattform zu etablieren, die noch lange tragen wird.
Oskar Valdre
Pedigree SelfieSTIX
Pedigree SelfieSTIX ist eine dieser Kampagnen, bei der ich mir gewünscht hätte, selber ein Teil des Projektes gewesen zu sein. Nicht nur, weil ich selber einen Hund habe, sondern vor allem wegen des einfachen und sehr wahren Consumer Insights. Denn jeder mit einem Hund, einem Smartphone und einem Instagram-Account kennt das: Wie schieße ich das perfekte Dog-Selfie? Denn meistens scheitert dieses Experiment am mangelnden Selfie-Interesse des Vierbeiners.
Colenso BBDO und Pedigree fanden einen neuen, emotionalen Weg, diese Aufgabe mithilfe von Pedigree Dentastix zu meistern – ein eigentlich eher funktionales Produkt für die Zahnpflege des Hundes. Mit einer innovativen Anwendungsidee konnten sie erreichen, dass Pedigree Dentastix ganz neuartig genutzt werden konnte. Denn der SelfieSTIX-Smartphone-Halter ließ die Hundebesitzer die Kunst der Dog-Selfies ganz einfach meistern, indem der Dentastix am Smartphone befestigt wurde und die Hunde so nur Augen für „das Selfie“ hatten.
Mit einer dazugeh dieses Produktes und einer neua und die Hunde so nur Augen fh meistern, indem der Dentastix.am dieses Produktes und einer neuaörigen App mit Hunde-Gesichtserkennung konnten die stolzen Besitzer sogar Live-Filter auf das Hundegesicht setzen – ähnlich wie bei Snapchat oder Instagram. Und natürlich konnten sie auch mehr Dentastix direkt in der App bestellen.
Das Resultat: Eine Produktinnovation, die einen neuen Wert zu der strategischen Positionierung „Feed the good“ addierte, und eine Kampagne, die den Umsatz um 24 Prozent steigen ließ. Ein starkes Beispiel, bei der Insight, Markenpositionierung, Produkt und Technologie perfekt aufeinander aufbauen, um etwas Neues und Relevantes zu kreieren. Und eine Aufforderung an uns alle, immer aus der Konsumentenperspektive zu denken und experimentierfreudiger zu werden.
Susanne Liedtke
Oatly
Wie schafft es eine kleine unabhängige Marke aus Schweden überall dort, wo sie gerade gelistet wurde, ausverkauft zu sein? Und das in einem Segment, in dem etablierte Player seit Jahren präsent sind. Nicht, dass wir nicht noch eine weitere Milch-Alternative gebraucht hätten. Und es ist auch nicht so, dass diese Marke kürzlich erst von einem Start-up auf Basis aktueller Trends gegründet und mit Venture Capital gepusht wurde. Warum sind Menschen also bereit, ganze 2,19 Euro für einen Liter Ersatzmilch zu bezahlen?
Oatly hat vieles richtig gemacht. 1. Die Marke hat sich vorgenommen, uns allen dabei zu helfen, genussvoll und gesund zu essen und dabei noch achtsam mit den Ressourcen umzugehen. So ein „Purpose“ passt ja voll in den Zeitgeist, könnte man meinen, aber Oatly kommt aus den Neunzigern. Das ist kein Schnellschuss, dieser „Purpose“ liegt in der DNA der Marke. 2. Oatly ist fokussiert und zwar auf Hafer („Wir wissen nichts über Mandeln, Soja oder Kühe“). 3. Oatly hat die Marketingabteilung aufs Nötigste reduziert: „We didn’t feel that we needed a marketing department“ und hat stattdessen mit John Schoolcraft einen Creative Director eingestellt. Und der hat mit seiner Haltung (enge Zusammenarbeit mit der Kreativagentur, gutes Design, ins Risiko gehen) die Grundlagen für den Erfolg der letzten Jahre gelegt. Er hat dafür gesorgt, dass Oatly nicht nur Gutes tut, sondern auch laut darüber redet: Die ersten Printanzeigen waren ganzseitige Textanzeigen im Guardian, die die Haltung der Marke beschrieben. Darauf folgten 18/1-Plakate in New York, London und nun in Berlin: Produkt fokussiert, clean und provokant, sich selbst und Werbung an sich aufs Korn nehmend. Und mit „Toni TV“ machen sie auch auf YouTube vieles richtig. Von solchen Marken braucht es mehr.
Franzisca Tardy
UNICEF France: ‚Game Chaingers‘
70 Prozent der Menschen, die sich für gute Zwecke einsetzen, sind über fünfzig, und neue Spender zu gewinnen, stellt für NGOs seit Jahren eine echte Herausforderung dar. Nicht zuletzt, weil sich jüngere Menschen neue Prozesse fürs Spenden wünschen. Einfach, unabhängig und so unverbindlich wie möglich.
Einer Umfrage von Moneymailme zufolge fühlen sich 62 Prozent der 18- bis 25-Jährigen über eine analoge Ansprache gestört, 72 Prozent hingegen wären bereit, auf digitalem Weg zu spenden. Höchste Zeit also, diesen Bedürfnissen entgegenzuwirken und neue Spenden-Quellen zu erschließen.
Genau das hat UNICEF France gemacht und ein Fundraising-Tool auf Blockchain-Basis entwickelt: „Game Chaingers“ nutzt die Leistung von Grafikkarten, um damit Kryptowährung zu minen, die dann direkt dem Konto der UNICEF gutgeschrieben wird. Und weil mehr Leistung in diesem Kontext mehr Erfolg bedeutet, hat sich das Kinderhilfswerk mit seiner Kampagne gezielt an Gamer gerichtet. Sozial engagiert, progressiv und stolz auf die POWER der Hardware waren Botschaften, die abgesendet wurden und sich in der gut vernetzten Community schnell verbreiteten.
Die umgerechnet etwa 65.000 Euro (im Kampagnenzeitraum) aus den zwei Monaten Laufzeit mögen weniger beeindruckend klingen als die 65 Millionen Euro, die UNICEF France sonst in einem Jahr generiert. Aber allein die Intelligenz des Ansatzes und der Mut, den in einer weltweiten Kampagne zu verpacken, gilt es zu würdigen. Aus strategischer Sicht: eins mit Stern.
Erschienen in: new business Nr. 50/10.12.2018
Quelle Titelbild: tanakorn335@shutterstuck.com