Der Schatten einer Marke

Von Inga Erchova, freie Markenstrategin, Hamburg

 

Dass wir nicht die Herren im eigenen Zuhause sind, muss sich seit Freud herumgesprochen haben. Die dunklen Seiten unserer Seele entziehen sich unserem Bewusstsein, egal wie reflektiert wir sind. Das Unbewusste – oder der Schatten– zieht im Dunklen die Fäden unseres Denkens und Verhaltens.

 

Wir spalten die Wirklichkeit in Gegensätze – den Tag und die Nacht, männlich und weiblich, das Gute und das Böse. Wenn unsere Wertung ins Spiel kommt, halten wir einen Pol für richtig und erwünscht, den anderen für falsch und verachtenswert. Etwa: Es ist gut, aktiv und entschlossen zu sein, passiv und tatenlos ist dagegen schlecht.

Wir identifizieren uns nur mit einem Pol. Sein Gegenpol wandert dadurch zwangsläufig in den Schatten. Nur, da hört er nicht auf zu existieren. Er wird bloß aus unserem Bewusstsein verbannt. Wie kleine Kinder glauben, durch das Schließen der Augen sich unsichtbar zu machen, glauben wir Großen, den unerwünschten Pol abschaffen zu können durch das Behaupten seiner Inexistenz.

Hinter jeder Polarität steht die Gemeinschaft, die Einheit. Die Pole leben voneinander und hängen voneinander ab, wie das Einatmen vom Ausatmen lebt oder der Schritt des linken Beins von dem des rechten. Einen Pol abzuschaffen, bedeutet, das Ganze abzuschaffen. Wenn wir nicht ausatmen, können wir nicht wieder einatmen.

Was wir von uns weisen, kommt über Wege auf uns zurück. Der Schatten sorgt dafür, dass sich all unsere Absichten eines Tages ins Gegenteil verkehren. So werden die Friedenskämpfer mit der Zeit militant, die Scheinheiligen unmoralisch und die Gesundheitsfanatiker – schwer krank. Eigentlich beschäftigen wir uns die meiste Zeit mit Dingen, die wir nicht mögen, weil wir sie von uns weisen.

Alles oben Gesagte gilt auch für Marken. Das eindrucksvolle Beispiel liefert die Marke Marlboro mit der aktuellen Kampagne ‚Don’t be a maybe‘. Seit dem Abschaffen des Cowboys als Markenbild ist sie auf einem Kreuzzug gegen das ‚maybe‘. Marlboro möchte sich von ‚maybe‘ abgrenzen, distanzieren, nichts damit zu tun haben – ein sicherer Weg, genau das Gegenteil zu erreichen.

 

Wie Marlboro zum Schatten seiner selbst wird

Die Headlines „History doesn’t start with a maybe“, „Maybe goes nowhere“, „Maybe never fell in love“ etc. tun genau das, was wir Menschen mit unerwünschten Eigenschaften tun. Wir ziehen sie ins schlechte Licht und weisen sie von uns. In jedem „Das würde ich niemals tun“ spricht unser Schatten. Wir vertun uns, bevor wir den Satz überhaupt zu Ende gesprochen haben.

Die Stärke des Cowboys lag übrigens gerade darin, die Gegensätze in sich zu vereinen. Er war immer beides – die Freiheit und die Bindung, das Abenteuer und die Routine, die Wildnis und das Zuhause. (Siehe Artikel ‚Requiem für den Marlboro-Mann‘, Strategy Corner, Juli 2011.)

Die wichtigeren, für die aktuelle Kampagne ‚positiven‘ Wörter wie History, Freedom und Change können noch so groß geschrieben werden, das einzige, was bei mir in Verbindung mit Marlboro hängen bleibt; ist nur das ‚maybe‘. Der Schatten entfaltet seine Wirkung. So wird die Marke Marlboro mit jedem Schritt das, was sie um jeden Preis nicht sein möchte – ein schwaches, wackliges ‚maybe‘.

 

 

Foto: David Dieschburg | photocase.de

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