Die Kunst der Entscheidung

Von Dr. Gordon Euchler, Planning Director bei DDB Tribal Berlin

 

Wir alle sind Entscheider.

Meist nennen wir nur die Chefs ‚Entscheider’. Dahinter steht die Vorstellung: Alle anderen entwickeln Alternativen, Pläne, Vorschläge und Szenarien. Sie aber entscheiden.

Heute müssen wir aber alle entscheiden. Denn alles, was im Marketing das Licht der Welt erblickt, entsteht durch eine Entscheidung. Eine Entscheidung für eine ganz bestimmte Strategie. Für eine bestimmte Idee. Für einen bestimmten Look. Und gegen alles andere.

 

Mit weniger Schmerz zu mehr Entscheidungen.

Diese Entscheidung gegen alles andere macht es so schwierig. Wer will schon auf all die anderen Alternativen verzichten (neurowissenschaftlich führt das zu Schmerz)? Deshalb gilt: Je geringer die Anzahl der Alternativen, desto leichter die Entscheidung. Noch leichter wird die Entscheidung nur, wenn diese Alternativen so unterschiedlich wie möglich sind. Die eine schwarz. Und die andere weiß. Und das ist kein Ding der Unmöglichkeit: im Marketing kann man mit ein paar Fragen sehr viele Probleme zu ‚schwarz-oder-weiß-Entscheidungen’ vereinfachen.[1]

 

#1 Grow the market or grow the market share?

Fast jede Marketingaufgabe zielt auf Wachstum. Führt also zur einfachen Frage: Wo soll das Wachstum herkommen? Coke dominiert den Softdrinkmarkt mit einem Marktanteil von ca. 75%.[2] Wenn Coke wachsen will, dann bringt es wenig, Marktanteile von Pepsi zu stehlen. Viel mehr Potential bietet es, den gesamten Markt zum Wachstum zu bringen. Denn von diesem Wachstum profitiert Coke zu 75%. Dementsprechend macht Coke seit Jahren Kommunikation, die einfach nur das tolle, erfrischende Gefühl eines Zuckerrausches feiert. Diese Strategie führte für Pepsi zum Desaster: so verlor Pepsi mit dem ‚Refresh Projekt’ zum ersten Mal den Status als zweitgrößte Softdrink-Marke im US-Markt. Am erfolgreichsten war Pepsi, solange sie direkt gegen Coke vorgingen. Solange sie nicht versuchten, den Markt zum Wachstum zu bringen, sondern Marktanteile von Coke zu stehlen: Mit dem Pepsi-Test und ‚The taste of a new generation’.

 

#2 New users or new usage?

Marktanteile hin oder her, Wachstum entsteht nur, wenn Menschen kaufen. Und je klarer wir sagen, wer von uns kaufen soll und wozu sie unser Produkt nutzen können, desto klarer ist unsere Strategie. Als Bird’s Eye Tiefkühlkost in Großbritannien einführte, begannen Hausfrauen, Tiefkühlkost für einfaches Essen zu nutzen. Aber sicher nicht für anspruchsvolles Kochen und schon gar nicht für die Soße. Und erst Recht nicht, wenn Gäste im Hause waren. Also entwickelte die Agentur CDP eine Kampagne, um die Nutzung zu steigern. Das Dinner kam so gut bei den Gästen an, dass selbst die ‚ehrlichsten’ Frauen der Versuchung nicht wiederstehen konnten – sie strichen das Lob ein und gaben Bird’s Eye-Soßen als selbstgekocht aus: ‚Makes a dishonest woman out of you’.

Aber mit ‚unehrlichen’ Frauen erreicht man nur 50% der Bevölkerung. Deshalb startete Bird’s Eye eine Kampagne, die auch die Männer für Bird’s Eye gewann. Sie glaubten, dass nur vereinsamte Singles Tiefkühlkost essen. Bird’s Eye zeigte ihnen das Gegenteil: ‚Especially for people who are not used to be on their own’.

 

#3 Do we have it? Do they need it?

Die nächste entscheidende Frage ist die nach Qualität oder Relevanz. Als Mercedes die S-Klasse W126 inmitten einer Rezession in Australien launchte, hätten sie klassisch die Qualität und die technische Überlegenheit ihrer Top-Modelle herausstellen können. Aber inmitten einer Rezession kann bei einem so teuren Auto schnell die Frage aufkommen: Klar glauben wir, dass die neue S-Klasse das beste Auto im Markt ist. Aber in Zeiten, in denen alle den Gürtel enger schnallen müssen, brauchen wir da wirklich eine S-Klasse?

So kommunizierte Mercedes nicht einfach die Qualität ihrer Autos anhand der überlegenen Sicherheitssysteme. Mercedes erzählte die Geschichte einer Familie, die mit ihrer W126 S-Klasse völlig unverschuldet in einen Unfall geriet. All die neuen Sicherheitssysteme griffen nach und nach im Verlauf des Unfalls ein. Die Familie kam glimpflich davon – ‚To them a Mercedes Benz is not a luxury’. Mercedes versuchte Menschen also nicht einfach von der Sicherheitsqualität zu überzeugen, sondern diese in wirtschaftlich schwierigen Zeiten relevant zu machen.

 

#4: Disrupt conventions or be a safe haven in an ever-changing world?

Adam Morgan etablierte die Idee von ‚Challenger brands’. Das sind Marken, die den Status quo in Frage stellen und für eine bessere Welt kämpfen. Marken wie Skoda haben diese Underdog-Position virtuos genutzt: Als alle Menschen Witze über Skodas Unzuverlässigkeit machten, war die tatsächliche Qualität dank Volkswagens Unterstützung extrem hoch. Anstatt die Witze der Menschen zu akzeptieren, machte Skoda charmante Witze über die Vorurteile der Menschen. Skoda erzählte die Geschichte des Autokaufs. Von Menschen, die begeistert von der Qualität eines Autos sind. So begeistert, dass sie es unbedingt kaufen wollen. Bis sie herausfinden, dass es ein Skoda ist und sie Reißaus nehmen: ‚It’s a Skoda – which for some, is still a problem’.

Den Status quo zu ändern ist natürlich kein Allheilmittel. Mitten in der Finanzkrise und in einem chaotischen amerikanischen Automarkt hätte es für Chrysler nur wenig Sinn gemacht, ‚Veränderung’ zu feiern. Für Chrysler war es die bessere Strategie, Sicherheit und Ruhe auszustrahlen. Menschen wieder an Amerika und seine Comeback-Fähigkeiten glauben zu lassen – und damit auch an die Comeback-Fähigkeiten der amerikanischen Ikone Chrysler. So wurden eindrucksvolle Superbowl-Spots geschaffen, in denen Clint Eastwood ‚It’s halftime in America’ ausrief. Und nichts verkörperte dies stärker als die heruntergekommene Stadt in der Arbeiter seit jeher stolz sind, Chrysler zu produzieren: ‚Imported from Detroit’.

 

#5: Strenghten your strenghts or overcome your weaknesses?

Wer mit Marken arbeitet, kennt deren Stärken und Schwächen. Sie stehen im Tracking. Egal was die besonderen Stärken und Schwächen einer Marke sind – es gibt zwei Wege, mit ihnen umzugehen: Entweder versucht man mit Marketing, seine Schwächen auszubügeln oder seine Stärken zu stärken.

Die Sportschuhmarke K-Swiss wurde nicht als ‚echte’ Sportschuhmarke wahrgenommen.[3] Sie hat ihre Wurzeln im Tennis. In den aggressiveren Sportarten wie American Football, Baseball und Fußball sah man sie kaum. Anstatt auf die Stärke Tennis zu setzen, wählte K-Swiss die Überspitzung. Sie engagierte sich nicht wie alle anderen Marken einfach in den aggressiveren Sportarten, sondern ging einen Schritt weiter und positionierte sich als die aggressivste Sportmarke. Indem sie den dauernd fluchenden Ex-Baseball Star Kenny Powers – bekannt aus der TV Serie ‚Eastbound & down’ – in ihrer Kommunikation zum ‚M*****f****** CEO’ machte. Nur er konnte einen Sportschuh produzieren ‚that is tougher, even tougher than you’.

Puma stand vor einem ähnlichen Problem. Eher als Fashion- denn als Sportmarke bekannt, wählte sie den entgegengesetzten Weg. Sie versuchte nicht ihre Schwäche auszubügeln, sondern baute ihre Stärke aus. Sie versuchte nicht den jahrzehntelangen Vorsprung von Adidas und Nike aufzuholen, sondern feierte ihre Fashion-Credentials und die Leute, die Sportklamotten tragen, ohne unbedingt Sport zu machen: ‚The afterhour athletes’ und den ‚Hardchorus’.

 

Ein bisschen weniger im Kreis drehen.

Diese fünf Fragen werden in schwierigen Situationen nicht magisch zu Entscheidungen führen. Aber wenn man nach links oder rechts gehen möchte, statt sich im Kreis zu drehen, werden sie hoffentlich hilfreiche Diskussionen anstoßen. Und wer an gordon.euchler@ddb-tribal.com schreibt, der erhält eine Linkliste mit all den Spots.

 

[1] Die ersten beiden Beispiele stammen von Dave Trott’s immer wieder hilfreichen ‚Binary Brief’ und die anderen aus meiner eigenen Erfahrung, insbesondere aus der Zusammenarbeit mit meinem Mentor John Lowery.

[2] http://www.slate.com/articles/business/rivalries/2013/08/pepsi_paradox_why_people_prefer_
coke_even_though_pepsi_wins_in_taste_tests.html

[3] http://adage.com/article/creativity-50/creativity-50-2012-72andsunny-taught-eric-hirshberg/235830/

 

 

Foto: „streichholzziehen“ | sör alex | photocase.de

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