APG Lesetipp. Rethinking Prestige Branding – Secrets of the Über-Brands

Rezension von Matthias Eylers, Strategy Director &  Partner +KNAUSS

 

 

‚When one product sells too much, we discontinue it.‘

Als ich vor einigen Jahren ein Interview mit Patrick Thomas, dem aktuellen CEO der französischen Luxusmarke Hermès las, war ich beeindruckt von der stringenten Markenführung des Unternehmens – widersprach es doch etlichen Regeln des herkömmlichen Marketings.

Nun legt der international erfahrene Markenstratege Wolfgang Schäfer und der ehemalige P&G Marketeer JP Kuhlwein eine systematische Vorgehensweise vor, wie Prestige-Marken im einundzwanzigsten Jahrhundert aufgebaut, gepflegt und am Leben erhalten werden können. Einige der dargelegten Prinzipien werden überraschend und auf den ersten Blick counterintuitive sein – genau deshalb lohnt sich die Lektüre.

Die eigens entwickelte Betitelung der „Über-Brands™“ bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf Luxusmarken im traditionellen Sinne, sondern bezeichnet Marken, die ein Preis-Premium erzielen, also überproportional teuer zu Wettbewerbern in ihrer jeweiligen Kategorie sind. Dazu zählen unter anderen Marken wie Red Bull oder Patagonia. Deshalb ist dieses Buch nicht nur für Menschen relevant, die in tatsächlichen Luxus- oder Prestige-Unternehmen tätig sind, sondern für alle, die versuchen eine Marke dauerhaft erfolgreich und vor allem preisunsensibel zu führen.

 

Generell zur Machart: Das Buch ist ein guter Hybrid, der faszinierende Markentheorie und pragmatische Marktumsetzung vereint. Die sieben „Über-Brands™“ Prinzipien werden am Ende durch siebenundsiebzig Fragen ergänzt, die wie eine Art Checkliste das Potenzial von Marken beleuchtet. Selbst einem untalentierten Berufsanfänger würde es dadurch gelingen, in einem C-Level Briefingtermin zu glänzen und schlau wieder raus zu kommen. In diesem Punkt merkt man der Veröffentlichung seine anglo-sächsische Fachbuchdidaktik deutlich an, was einen Vorteil zur üblichen Wissenschaftsliteratur darstellen kann.

Was man den Machern anmerkt, ist, dass sie „claimartige“ Kapitelüberschriften nicht das erste Mal geschrieben haben. Eine ganze Großfamilie an Alliterationen und Wortspielen findet sich auf den 230+ Seiten wieder, was manchmal zu viel werden kann. Der Vorteil ist allerdings, dass sie dem Gehirn beim Erinnern der Thesen helfen und scharfe Munition für die nächste Präsentation sind. „From marker to myth“, „Apart. Ahead. Above.“, „Longing vs. belonging“, „Exception via execution“, „Walk the talk“, „Attract, don’t attack.“ – um hier einige zu nennen.

 

Speziell zum Inhalt: Nach einer kurzen Abhandlung zur Bedeutung von Marken im gesellschaftlichen Kontext gelingt es dem Buch die unterschiedlichen Facetten moderner „Über-Marken“ wie eine feine Perlenkette plausibel aneinander zu hängen. Dazu gehören Betrachtungen aus dem Bereich Positionierung, Storytelling, Produkt und Innovation, Unternehmenswachstum und nicht zuletzt der Zielgruppenausrichtung. Letzte stellt sicher für die meisten Marketeers eines der interessantesten Kapital dar, denn das Bekenntnis, sich auf eine „Über-Target“ zu fokussieren, die die Marke aktiv repräsentiert und antreibt, ohne dass sie die Mehrzahl an tatsächlichen „Konsumenten“ darstellen, widerspricht den meisten MarkenmachernInnen. Doch genau hier wird laut den Autoren eine Grundlage über überproportional begehrenswerte und erfolgreiche Marken gelegt. Eine „Über-Brand“ fokussiert sich sehr bewusst darauf, seine aspirative Zielgruppe treffend anzusprechen. Strategie heißt eben Verzicht. Dieses Prinzip zieht sich durch alle Facetten des „Über-Marken“-Aufbaus.

Was wirklich Spaß bei Lesen macht, ist, dass jedes Prinzip anhand mindestens eines detaillierten Cases untermauert wird. Teilweise sind dafür Interviews mit Gründern oder Verantwortlichen an der Unternehmensspitze geführt worden, was enorm zur Glaubwürdigkeit und zum Verständnis beiträgt. Zusätzlich werden nach jedem der sieben Kapitel die wichtigsten Punkte erneut bulletartig aufgelistet – ein Traum für gestresste Manager und aufmerksamkeitsarme Millenials.

Am Schluss der Argumentationskette steht der „Golden Star“. Ein Modell, das die sieben Prinzipien von Über-Marken in klarer Relation zueinander stellt und als eine Art Workshop-Tool oder Markenmodell funktionieren kann. Ein Sternchen in jedem Markenhandbuch und auf jedem Flipchart. Garantiert!

Das einzig wirklich Unschöne an dem Buch sind seine grauen Grafiken. Da hat die Grafikabteilung des Verlages offenbar nichts vom Inhalt des Buches verstanden. Andererseits: Die große Diskrepanz zwischen den „Über-Brands™“ und dem „Unter-Design“gibt einem selbst den Freiraum, tätig zu werden und die Prinzipien in seinem Alltag strategisch wie gestalterisch umzusetzen.

 

Rethinking Prestige Branding
Secrets of the Über-Brands

Wolfgang Schäfer, JP Kuhlwein

Kogan Page Limited, 2015

ISBN 978 0 7494 7003 6

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Zu Wolfgang Schäfers Strategy Corner-Beitrag

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