Wider eine Über-Akademisierung der Strategischen Planung

Es existiert ein Hang dazu, „Strategie“ zur Wissenschaft zu erheben. Dabei steht eine übermäßig akademische Auffassung des Plannings seiner vollen Entfaltung im Wege.

Von Michael Grandt, Planning Director bei Grey, Düsseldorf

 

Gerade in Deutschland scheint das Planning manchmal einer etwas zu akademischen Selbstauffassung anzuhängen. Wenn man zum Beispiel die Vielzahl von Veröffentlichungen unserer strategischen Zunft, durchaus auch in der Strategy Corner, zum Maßstab nimmt, scheint es, dass wir uns ziemlich wohl in der Rolle des werbe-psychologisch geschulten Konsumentenforschers, als Ingenieur anspruchsvoller Markenkonstrukte oder als die Zukunft prognostizierende Trendanalysten fühlen. In unseren Artikeln ordnen wir die Welt mit Hilfe gewiefter Funnel-Modelle neu, sprechen über Systeme und Prozesse. Gelegentlich fragen wir uns dann – fast schon ein bisschen verschämt: Dürfen wir eigentlich auch kreativ sein? Und wenn ja, wie oft?

Diese Neigung zum Akademischen wird zudem noch durch technologische Entwicklungen verstärkt. Die digitale Welt lädt geradezu ein, sich in Daten und Details zu verlieren. Da man heute Vieles messen kann, weicht die nuancierte Perspektive auf eine so komplexe und emotionale Sache wie Kommunikation zunehmend einem mechanistischen Weltbild, in dem alles planbar scheint.

 

Weshalb besteht diese Tendenz?

Selbstverständlich ist solch eine Suggestion der Wissenschaftlichkeit unserer Arbeit auch einer gewissen Notwendigkeit geschuldet. Am Ende müssen unsere Strategien sowie die Ideen unserer Kreativkollegen Entscheidungsträgern erklärt und begründet werden. Und diese nähern sich den Dingen in der Regel eher rational.

Gerade weil Marken und Werbung, wie auch die individuellen Reaktionen von Menschen darauf, in Wirklichkeit komplexe Sachen sind, deren Wirkung schwer vorherzusagen ist, hilft der Verweis auf wissenschaftliche Modelle und strukturierte Herangehensweisen. Dem Wunsch nach einer gewissen Planbarkeit wird damit ein Stück weit entgegengekommen. Möglicherweise spielt die risiko-averse Natur von uns Deutschen auch eine Rolle. Wir wollen uns halt sicher sein, dass nichts schief geht.

 

Die Strategische Planung kann sich wissenschaftlicher und analytischer Methoden bedienen, sollte selbst aber vor allem ein kreativ-intuitiver Prozess bleiben.

Grundsätzlich geht es nicht darum, dem Planning im Gegenzug eine wissenschaftlich-fundierte Vorgehensweise vorzuenthalten. Im Gegenteil. Ein gründliches Durchleuchten der Ausgangsituation, des Wettbewerbsumfeldes und der Motivation der Konsumenten bleibt ja weiterhin eine unerlässliche Hausaufgabe. Wenn man lediglich „aus der Hüfte schießt“, wird die Entwicklung von relevanter und wirksamer Werbung zum Glücksspiel.

Dennoch besteht hier die Gefahr, Ross und Reiter zu verwechseln:

Wer das Mittel mit dem Zweck verwechselt und verkrampft versucht „richtig“ anstatt „interessant“ zu sein, wer sich durch wissenschaftlichen Duktus und strikte Denkschemata einengt, der beraubt sich der Möglichkeit zu inspirieren und etwas wirklich Neues zu machen.

„I warn you against believing that advertising is a science.“ Bill Bernbach

Warum eine Verwissenschaftlichung nicht nur der Werbung im Allgemeinen, sondern gerade auch des Plannings eine Gefahr darstellt, lässt sich an drei, teilweise zusammenhängenden Aspekten festmachen:

1. „Forschung“ liefert keine Strategie, sondern kann allenfalls Inspirationsgrundlage sein.

Marktforschung liefert uns wichtige Beobachtungen, auf deren Grundlage wir, allerdings erst durch intuitive Interpretation, wirkliche Insights entwickeln. Selten kann man Erkenntnisse direkt in eine Strategie ableiten. Stattdessen greifen wir in der Regel auf verschiedenste Puzzleteile aus unterschiedlichen Quellen zurück, aus denen sich dann meist in einem diffusen Prozess, ganz plötzlich und vielleicht noch etwas vage das große Bild ergibt. Dieser Vorgang ist eigentlich ganz typisch für einen „kreativen“ Prozess.

Dabei mag uns allen sicher schon einmal aufgefallen sein, dass uns der intuitive und kreative Umgang mit Marktforschungsergebnissen und vielfältigen Beobachtungen gerade dann am leichtesten fällt, wenn sie auf vergleichsweise informelle und improvisierte Weise gewonnen wurden. Überambitionierte, methodisch anspruchsvolle Marktforschungsunternehmungen können hingegen kontraproduktiv sein, weil es uns nach all dem Riesenaufwand unbewusst widerstrebt, das Ganze auf lediglich ein, zwei banale, aber erleuchtende Insights zu reduzieren.

 

2. Menschen sind komplexe, emotionale Wesen.

Big Data (mittlerweile auch: Smart Data) ermöglicht uns zwar zunehmend zu verstehen, wie sich Konsumenten verhalten, liefert aber selten wirkliche Erklärungen, um zu verstehen, welche Motivationen dahinterstecken. Auch die Neuromarktforschung hat bisher ihr Versprechen, „in den Kopf“ des Konsumenten „zu schauen“, nicht völlig eingelöst. Selbst herkömmliche qualitative Marktforschungsverfahren, auch wenn sie noch so tiefenpsychologisch fundiert und begleitet werden, tun sich schwer, bahnbrechende Erkenntnisse über Motivationen zu liefern.

So banal es klingt, die wichtigsten Werkzeuge, die wir besitzen, um Konsumenten wirklich zu verstehen, sind eher unwissenschaftlich und vor allem intuitiv: es sind unsere gesammelte Lebenserfahrung und die Fähigkeit zur Empathie. Es ist also nicht die akademische Neugier des Forschers, sondern unser subjektives Einfühlungs- und Vorstellungsvermögen als Mensch selbst, das dem „Untersuchungsobjekt“ Mensch noch am ehesten gerecht wird.

 

3. Die wichtigsten Adressaten unserer Strategie erreicht man nicht mit verkopften Thesen.

Dass unsere Strategie kein Selbstzweck ist, sollte klar sein. Letztendlich müssen wir uns daran messen lassen, inwieweit wir dem Kreativ-Team mit unserem Input weiterhelfen. Dabei ist es notwendig, eine Sprache zu sprechen, die bereits aus einer kreativen Sichtweise kommt. Verschreiben wir uns einem wissenschaftlichen Duktus wird es schwierig zu begeistern und zu inspirieren. Bestenfalls wird das Kreativteam viel Zeit darauf verwenden, den Brief in etwas für sie Greifbares zu übersetzen. Schlimmstenfalls wird der Brief ignoriert. In beiden Fällen ist der Mehrwert des Plannings begrenzt.

 

Fazit: Wissenschaftlichkeit und Akademisierung ist ein zweischneidiges Schwert für das Planning.

Sicherlich sollten wir uns beim Planning der bestmöglichen Methoden bedienen. Diese dürfen durchaus auch wissenschaftlich fundiert sein. Allerdings drohen allzu formalistische, deduktive und rigide Denkweisen unsere Fähigkeit zur Intuition, Vereinfachung und Improvisation zu verschütten. Bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber wissenschaftlichen Ansätzen sollten wir uns deshalb auch immer eine gesunde Distanzhaltung zu einer übermäßigen Akademisierung unserer Arbeit bewahren. Am Ende geht es ja auch beim Planning vor Allem um Ideen.

 

 

Foto: Lesezeit. | Rike. | photocase.de

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