Wenn Marketingentscheider nicht mehr liefern können

In vielen Unternehmen klafft eine Lücke zwischen dem, was der Markt fordert, und dem, was die Organisation zu leisten imstande ist. In diesem Gap zwischen Anforderung und Performance liegen für Agenturen Aufgaben und Chancen.

Von André Lutz, CEO von defacto BE/ONE, München.

 

„Ich brauche eine andere Art von Leadagentur“, sagt der CMO und recht hat er. Tatsache ist: Die Welt da draußen dreht sich immer schneller und Organisationen kommen nicht mehr mit. Es klafft in vielen Unternehmen eine Lücke zwischen dem, was der Markt fordert bzw. was der Endkunde verlangt, und dem, was die Organisation zu leisten imstande ist. In genau dieser Lücke zwischen Anforderung und Performance liegen die Aufgaben und die Chancen für Agenturen. Sie können zwischen Markt und Kunde vermitteln, als Gelenk zusammenhalten, aber doch flexibel bleiben. Welche Agentur schafft das? Erfolgreiche Agenturen werden immer mehr zu „Enablern“. Sie ebnen ihren Auftraggebern den Weg zum Kunden, befähigen sie, und das tun sie zukünftig mehr denn je. Was der CMO nicht schafft, zum Beispiel Marketing und IT an einen Tisch zu bekommen, dafür ist die Agentur prädestiniert. Anforderungen dieser Art haben mit dem „herkömmlichen“ Agenturgeschäft nicht viel zu tun? Doch! Agenturen boten schon immer Lösungen für die Aufgaben des CMO. Das ist ihr Job.

 

Wofür der CMO Lösungen braucht

Als „Old School“-Marketingentscheider zu gelten, kann sich niemand erlauben. Entsprechend groß ist der Innovationsdruck. Noch mehr Druck kommt aus der Vorstandsetage, weil neue Projekte im Zusammenhang mit der digitalen Transformation mit kurzfristigen Herausforderungen um Aufmerksamkeit und Budget konkurrieren, ganz zu schweigen von weiteren Veränderungen, die auch irgendwie zu managen sind. Die Entwicklungs- und IT-Budgets werden zusätzlich dadurch gebunden, dass sich digitale Kontaktpunkte vervielfachen und der daraus resultierende Kommunikations- und Orchestrierungsbedarf explodiert. Auch intern wächst der Kommunikationsbedarf, weil Marketing und Sales zusammenwachsen. Das Denken in Customer Journeys, Net Promoter Scores, Performance Marketing, E-Commerce und ROI führt dazu, dass Marketing immer mehr nach Parametern eines Business Case und nach Kosten-Nutzen-Relationen beurteilt wird. Und alle diese Herausforderungen sind in der Regel mit einem internen Team zu bewältigen, das eher nicht digital aufgestellt ist – neue Planstellen sind auch nicht im erforderlichen Maß in Sicht. Das sind die Herausforderungen, denen sich ein Marketingleiter heute zu stellen hat. Und dafür braucht er eine Leadagentur, die diese Anforderungen verstehen und entsprechend flexibel umsetzen kann.

 

Was die „andere“ Leadagentur ihrem Auftraggeber bieten muss

Die Leadagentur, die dem Marketingentscheider wirklich aus der Bredouille hilft, lebt die Vernetzung von IT und Marketing. Hier ist die Agentur Vermittler und hält Kapazitäten vor für Development, Deployment und Hosting. Sie integriert und betreibt zudem Tools für CRM (Zielgruppendaten), Data Warehouse (Analytics), Kampagnenmanagement und Digital Asset Management (Content). Die Agentur ist crossfunktional aufgestellt: Sie denkt in KPIs und Customer Journeys und arbeitet daher kanal- und touchpointübergreifend. So werden konzeptionelle, kreative, technische und analytische Inhalte in einem Sales Funnel gebündelt und optimiert. Weil die Agentur den kompletten Sales Funnel steuert, Marketing und Sales miteinander verschmilzt, werden leistungsbezogene Vergütungsmodelle erst möglich. Die Agentur übernimmt Profit- und Loss-Verantwortung.

Eine der großen Herausforderungen für den CMO ist die Fragmentierung der Medienlandschaft, die die Kombination aus Reichweite und markenadäquatem Umfeld immer komplexer und teurer werden lässt. Eben diese Vielzahl an Kontaktpunkten mit ihren jeweiligen Spezifika, die Messbarkeit und die Wettbewerbsintensität stellen hohe Anforderungen an die Entwicklung und Umsetzung kreativer Ideen. Kreativität bleibt Kernkompetenz der Agentur. Hinzu kommt ein hohes integratives und kontaktpunktspezifisches Kreativ-Verständnis: Die Agentur kann aus dem Kontaktpunkt heraus autarke Kreativkampagnen umsetzen, weil sie alle Kontaktpunkte steuert (Search, Social, Smart-TV, Messenger, E-Shop, Homepage, stationärer POS, Kundenbindungsprogramm, Mobile App, Customer Care Center, Digital OOH etc.).

Da selbst reichweitenstarke Kontaktpunkte wie Smart-TV datenbasiert Content ausspielen, muss die Leadagentur auch mit ihrer hohen Kompetenz im Handling, der Konsolidierung und Analyse von Daten für Reportings und strategische Übersetzung punkten. Wenn irgendwann alle Kontaktpunkte digital sind und völlige Transparenz herrscht, erscheint Programmatic Buying für viele Branchen obligatorisch. Die Agentur muss vor diesem Hintergrund dann auch automatisiert und optimiert den Mediaeinkauf organisieren. Der hohe Integrationsgrad und die Komplexität der Aufgabenstellung erfordert Abstimmung. Agenturteams werden daher auch dauerhaft vor Ort beim Auftraggeber arbeiten.

 

Die Strategen im Zentrum der neuen Leadagentur

Durch dieses zukünftig deutlich breitere Terrain, das von der Leadagentur abzudecken ist, verändert sich vor allem die Rolle der Strategen. Waren sie bisher häufig in Aufgaben wie Marken- und Kommunikationsstrategien vor allem zu Beginn von Jobprozessen eingebunden, werden sie zukünftig in vielen Wertschöpfungsbereichen der Agenturen als Hub und zentrale Koordinatoren erforderlich werden, um die verschiedenen Perspektiven aus Marke, segmentindividuellen Konsumentenanforderungen und die Touchpointinsights als Briefing für die Kreation sinnvoll zu integrieren.

Die „andere Agentur“ erfordert aber auch eine andere Zusammenarbeit. Noch nie konnte eine Agentur so viel zum messbaren Geschäftserfolg ihrer Kunden beitragen wie heute. Damit das funktioniert, müssen jedoch auch die Parameter der Zusammenarbeit neu definiert werden. Eine Praxis der regelmäßigen Pitches wird angesichts der komplexen Anforderungen und Investitionsnotwendigkeiten in die individuellen Kundenerfordernisse für die Leadagenturen nicht mehr rentabel sein – und für die Unternehmen auch nicht hilfreich. Nicht nur das Geschäftsmodell der Agentur muss sich ändern, sondern auch die Beziehung zum Auftraggeber.

 

Voraussetzung: Echte Partnerschaft

Der Business Case geht nur auf, wenn Leadagentur und Unternehmen auf langfristige, echte Partnerschaften setzen; wenn man die Agentur-Beziehung nicht alle zwei bis drei Jahre, sondern vielleicht alle zehn Jahre auf den Prüfstand stellt, damit die Agentur in Personen, Tools und Prozesse investieren kann und so Teil der operativen Kundenorganisation wird.

Eine Agentur muss den Spielraum haben, um die notwendigen Investitionen in Spezialisten, Tools und interne Organisation zu tätigen. Nur dann kann sie für den Kunden die richtigen Entscheidungen treffen, wenn es beispielsweise um Effizienzsteigerung durch Bot-Technologie oder Nearshoring von wiederkehrenden quantitativen Inhalten geht. Ein Zukunftsmodell, das die Ernsthaftigkeit der Kunden-Agentur-Beziehung unterstreicht, ist beispielsweise, dass Auftraggeber Minderheitsgesellschafter „ihrer“ Agentur werden, um Schlüsselpositionen in der Agentur über Partnermodelle zu binden.

 

 

Erschienen in: new business Nr. 24/ 11.06.2018

Quelle Titelbild: 

monkeybusinessimages@shutterstuck.com

 

 

 

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