Vom kulturellen Kapital von Marken

Sie sind ihre Geschichten und schaffen sich dabei ihre eigenen kulturellen Symbole und Praktiken. Sie heißen ‚Occupy‘ und verbreiten sich in Bitgeschwindigkeit über die Welt. Starke Marken ziehen ihre Energie aus den offenen ideologischen Konfliktherden unserer Zeit. Sie sind Zeichen der kulturellen Transformation und werden groß als kulturelle Aktivisten.

Von Stefan Baumann, Sturm und Drang, Hamburg

 

Sie kommen aus dem Netz und besetzen die Straße. Die neuen Marken suchen sich eine Bühne (‚Wall Street‘), geben sich Parolen (‚Wir sind 99%‘), haben ihre selbst ernannten Helden (‚www.99facesofoccupywallst.org‚) und eigenen Erzählplattformen (‚www.occupiedmedia.us‚).

Müssen wir in der Netzwerkökonomie unsere Metaphern für Marken ändern? Sind Marken weniger Leuchttürme als soziale Figuren mit Gewissen und Willen – jetzt, wo wir an dem Übergang zu einer neuen Ära der wirtschaftlichen Integrität und des „guten Kapitalismus“ herumprobieren?

In was für einer Zeit leben wir eigentlich? Erinnern wir uns kurz der Gegenwart: Die sozialen Meide haben das das Kommunikationsgefälle enorm begradigt. Die erste gravierende Erkenntnis im Social-Media-Zeitalter für die Markenkommunikation lautet: Die vernetzten Konsumenten sind das eigentliche Medium. Medien werden nicht mehr gekauft, sondern verdient und besessen. Marken kommunizieren in der neuen Interaktionskultur auf Augenhöhe mit den Konsumenten und müssenn auch inhaltlich ihren Fokus an das neue Paradigma adaptieren: Statt werblicher Anmach-Botschaften braucht es stete Beziehungsarbeit.

Nicht ‚Jeder Markes‘ Sache. Aber sehen wir ein: Nur in der überzeugten Weiterempfehlung und im begeisterten Überspringen der Markenideologie verbreiten sich heute noch Marken. Nur durch Relevanz und Substanz kommen wir als Verbraucher der Marke näher und binden uns auch gerne an sie.

Nicht Aufmerksamkeit durch Dauerbeschallung ist gefragt, sondern der kluge und geduldige Aufbau von emotionaler Nähe erfolgt durch die richtigen kulturellen Positionen und Inhalte: Gemeinsame Ideale und Ideensysteme.

 

Leitsysteme für ein ‚richtiges Leben‘

Gefolgt wird gerne – aber nur aus gutem Grund. Bei dem neuen Bedürfnis nach Teilhabe geht es um tiefgehende kulturelle Setzungen statt um primäre Bedürfnisbefriedigung, um Soziales stalt um Individuelles: Es geht um gesellschaftliche Relevanz, Gemeinsinn und um Ideale. Kulturelles Kapital mehren statt Profit maximieren. Und es geht immer weniger um das  ‚Goldene Kalb‘ namens ‚ICH‘: Transzendenz bedeutet, an etwas teilzuhaben, das größer ist als der Einzelne und seine hedonistischen Sehnsüchte.

Hornbach („Mach es zu Deinem Projekt“), Volksbank („Was uns antreibt“) oder Levis („Go Forth“) sind die kommunikativ verbreiteten ideologischen Produzenten eines Lebens im richtigen Leben‘. Alle diese Marken kommunizieren über Bedeutung, sie sind in diesem Sinne ‚Meaningful Brands‘.

Ideologien sind Leitsysteme für ein ‚richtiges‘ Leben. Ständig konkurrieren Ideologien im sozialen Diskurs. Die Ideologie des ‚Einfachen Lebens‘ oder die Ideologie des ‚Selbstgemachten Lebens‘. Natürlich auch – gerade wieder sehr populär in der neuen Unübersichtlichkeit – die Ideologie des ‚Aufgeräumten Lebens‘. Alle diese Ideologien haben ihre Konjunktur in den Resonanzfeldern des kulturellen Marktes. Sie zu treffen und darauf die Markenvision und ihr Produktportfolio langfristig abzustimmen, ist die zentrale Aufgabe in der Cultural Strategy.

Dieses neue Marken-Paradigma ist also im Kern eine kulturelle Aufgabe. Die große Aufgabe für Marken im digitalen Zeitalter wird sein, vollends zu einer kulturellen Bewegung zu werden. Ökonomische Strategie wird immer mehr zur Kulturstrategie, Markentechnik zur Kulturtechnik. Nicht die funktionalen oder die emotionalen Benefits schaffen Märkte, sondern die ideologischen Leitkulturen und das Verpacken dieser Markenkultur in Geschichte, Aktionen, Symbolen und Praktiken.

Das strategische Moment in der Markenplanung besteht neuerdings vor allem darin, die ideologischen Chancen, die sich aus den ständigen Kontextdynamiken heraus ergeben, in die Planung zu übertragen und daraus eine Marktideologie zu formen, die nicht kopierbar ist.

Wie geht das? Durch trendorientierte Markenkulturforschung. Die Aufgabe in einem Satz: Den bestehenden Brand Code (Semiotische und Narrative Analyse) mit dem herrschenden Category Code (Kulturelle Konventionsanalyse) und dem dynamischen Cultural Code (Trendanalyse) abzugleichen und darin ideologische Chancenfelder zu entdecken.

 

Vision Journey entdeckt ideologische Chancen

Das nennen wir Vision Journey. Diese Vision muss immer einen bestehenden und akuten kulturellen Konflikt überbrücken. Nehmen wir zum Beispiel das Motto der nächsten ‚APG open source‘-Konferenz: Komplexität. Ein uns bekannter virulenter Konfliktherd im modernen westlichen Leben. ‚Simplexity‘ – also das Komplexe im Gewand des Einfachen – ist eine starke Ideologie, wenn sie von einer Marke ideologisch sauber propagiert und im Markenverhalten dauerhaft sichtbar wird.

Nehmen wir aus diesem kleinen Gedankengang mit: Markenführung wird in Zukunft viel mit ‚Social Design‘ zu tun haben. Und dafür braucht es nicht nur Produkt- und ökonomisches Können, sondern das feine Gespür für den ‚Kulturellen Faktor‘ in allen Märkten. Schöne neue Markenwelt.

 

 

Foto: „Neue Ufer“ | PegakaSaraMarx | photocase.de

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