Fehlleistungen in Kapital verwandeln

Die Chance zur direkten Verbraucher-Kommunikation über soziale Medien weckte die Hoffnung, der Kundenservice würde den Stellenwert bekommen, der ihm gebührt. Gute Beispiele wie ‚Telekom hilft‘ oder ‚Twitter Heavy-User Dell‘ machten Mut. Doch noch haben die zwei wenig Nachahmer.

Von Dr. Annette Bruce, Creative Advantage, Hamburg

 

Zwar wollen die meisten Unternehmen nach eigenen Angaben die sozialen Medien auch und gerade im Kundenservice nutzen. Doch dem viel versprechenden Vorbild der Deutschen Telekom und des Computer-Herstellers Deli folgen bislang nur wenige.

Eine Reihe von prominenten Shitstorm-Beispielen verschleiert, dass der Anteil an Beschwerden, den Kunden über Web-2.0-Plattformen posten, (noch) vergleichsweise gering ist. Studien des Internet Advertising Bureaus und der Lightspeed Research in Großbritannien ergaben, dass 8 Prozent der Befragten sich über Foren oder Facebook beschwerten und 2 Prozent über Twitter. Der meistgenutzte Kanal ist E-Mail mit 44 Prozent, immerhin 22 Prozent der Befragten schickten ihr Anliegen auf dem klassischen Postweg.

 

Soziale Medien oft das Ende der Fahnenstange

Dabei ist allerdings der Grad der Unzufriedenheit bei Kunden, die sich über das Web 2.0 beschweren, besonders hoch. Nach Studienergebnissen des US-Softwareanbieters ExactTarget sind soziale Medien für die große Mehrheit der Kunden die letzte Stufe in einem Beschwerde-Prozess, der erst genutzt wird, wenn Lösungsversuche über klassische Kanäle fehlgeschlagen sind.

In solchen Fällen wenden sich die Kunden einer öffentlichen Web-Plattform zu, um sich den Brennglas-Effekt der sozialen Medien zunnutze zu machen und den Druck auf Unternehmen zu erhöhen.

Bschwert wird also nicht häufiger, dafür aber öffentlichkeitswirksamer. Das Potenzial in Sachen Kundenbindung oder positivem Word-of-Mouth, das sich Unternehmen bietet, wenn ein Kundenproblem erfolgreich gelöst wird, ist in erster Linie mit der Kanalwahl verbunden. Vielmehr geht es um einen angemessenen Stil der Kommunikation.

 

Kommunikation von oben herab

Diesen Stil haben viele Unternehmen noch nicht verinnerlicht, sei es online oder auf Papier. Diese Erfahrung machte ich kürzlich in zwei Fällen selbst. So griff ich zur Prüfung der Service-Bereitschaft im Web 2.0 (mit einem echten Anliegen) bei einem Hamburger Carsharing-Anbieter zum“Äußersten“. Nach erfolglosen Versuchen auf „klassischen“ Wegen trug ich mein Anliegen auf der Facebook-Fanpage vor, mit der Hoffnung, Antwort zu bekommen. Aber auch hier erreichte ich nichts, das Unternehmen blieb stur.

Auch bei Deutschlands hochwertigstem Küchengerätehersteller wurde ich enttäuscht. Auf meine Beschwerde, dass der Kundendienst fünf Tage (inklusive Wochenende) brauchte, um meine nagelneue Dunstabzugshaube instand zu setzen, bekam ich eine rechthaberische und mit Verweisen auf eigene Versäumnisse gespickte Antwort, die eher an ein Beweisprotokoll erinnerte als an ein Kundendienst-Schreiben. Trotz der erstatteten Aufwandsentschädigung hat mein bis dahin hohes Ansehen des Unternelunens durch diese Reaktion deutlich gelitten.

Unternehmen müssen sich ihrer Verantwortung stellen Es ist naheliegend und äußerst erstrebenswert, Kundenprobleme über guten Service in positive Energie für die Marke umzuwandeln. Mit Rechthaberei lmd Belehrungen wird der Kunde aber allzu oft in die Rolle des Konsumenten zurückgedrängt, wie auch viele Unternehmensstellungnahmen auf sozialen Online-Plattformen zeigen. Sie sind nach dem kleinen Abc des Beschwerdemanagements geschrieben. Man riecht förmlich, dass der aufgebrachte Konsument beruhigt werden soll. Zu offensichtlich sind die geschulten Antworten oder die vorbereiteten Textbausteine.

Diese Art des Umgangs mit Kunden kann nicht zielführend sein, im Gegenteil: Die Servicewüste Deutschland wird so bestätigt lmd manifestiert. Passend zur neuen durch das Web 2.0 geprägten Kommunikationskultur ist vielmehr ein Kommunikationsstil gefragt, der sich mit den individuellen Anliegen auseinandersetzt, undFehler eingesteht, wo es angebracht ist. Kurzum: Ein Dialog auf Augenhöhe.

Das Trendforschungsinstitut trendwatching.com hat ein entsprechendes Paradigma aktuell mit dem Titel ‚Flawsome‘ bezeichnet. Darunter werden Marken verstanden, die nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Fehler bzw. dem Umgang mit ihren Fehlern begehrenswert sind, beweisen sie doch in der Kommunikation mit dem Kunden Charakter und Menschlichkeit.

Das erfordert zweifellos auf Unternehmensseite eine erhöhte Flexibilität, Souveränität und bisweilen eine gute Portion Humor und ist ohne Frage eine echte Herausforderung. Als attraktive Belohnung winken allerdings zufriedene Kunden und potenzielle Markenbotschafter. Also echtes Marken-Kapital für jedes Unternehmen.

 

 

Foto: „nobody is perfect“ | kallejipp | photocase.de

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