Helden, Ziele und Konflikte

Brand-Storytelling, Transmedia-Storytelling, Strategic-Storytelling – Geschichten ziehen derzeit immer größere Bahnen im Marketing. Viele sagen da: Geschichten? Ach, das passt schon. Haben wir im Marketing schon immer gemacht.

Von Christian Riedel und Valentin Heyde, Gründer und Geschäftsführer Three-Headed Monkeys GmbH, Hamburg

 

Zugegeben: Marketing lebt von Geschichten. Geschichten, die Marken und Produkten Bedeutungen geben und die Bedürfnisse wecken. Geschichten, inszeniert mit den Mitteln der Werbung, der PR, des Events, in Digital und Sodal Media. Wo ist also das Problem?

Das größte Hindernis, um im Markenkontext über Storys zu sprechen (ob transmedial oder nicht), ist die unterbewusste Vorstellung, wie Geschichten auszusehen haben. Eine Vorstellung, die tief mit dem klassischen Distributionssystem von Markengeschichten verbunden ist.

In der alten Welt waren Marken mit ihren Geschichten immer auf das Distributionssystem anderer angewiesen. Verlage und TV-Sender investierten viel Zeit und Geld in den Aufbau von Publikum, um sie an die Werbetreibenden „zu verkaufen“. Marketing Geschichten mussten eingezwängt in kurze Unterbrechungen erzählt und die Produktnachricht blitzschnell vermittelt werden.

Über Jahre wurde trainiert, in Wunderkerzen zu denken. Hell leuchtend, schnell verglüht. Marken tun sich schwer, Geschichten jenseits der Unterbrechung zu erzählen. Ist daran etwas auszusetzen? Erst mal nicht. Wunderkerzen ziehen immer noch in den Bann. Gut so! Ein Lagerfeuer, an dem sich Menschen freiwillig versammeln, eröffnet jedoch neue Perspektiven: Es wirkt anziehend, schafft Orientierung im Kanalgewirr und ist strategisch attraktiv, um eine Marke aufzubauen, langfristig zu differenzieren und schlicht: um länger im Gespräch zu bleiben. Folgerichtig gewinnen Ideen wie ‚Replay‘ von Gatorade (TBWA/CHIAT/Day) Löwen in Cannes.

Hier wurde die Kernstory mit einer Online-Videodokumentation als Basis über viele Kanäle gespielt. Als Helden bereiteten sich zwei alt gewordene ehemalige Highschool-Football-Teams über Monate auf ein entscheidendes Match vor. 15 Jahre zuvor waren sie mit einem frustrierenden und nie verwundenen Unentschieden auseinandergegangen. Mit dem Stoff der „zweiten Chance“ brachte ‚Replay‘ ein Lagerfeuer zum Lodern, das Format wurde zur Reihe. Hollywood-Studios warten darauf, die Geschichte zu verfilmen. Gatorade glänzt dabei fortlaufend und oscarreif in der Rolle des ‚Best Supporting Actors‘. Kein Wunder, wenn Coca-Cola Liquid-Storytelling zur Strategie ausruft.

Im Weiteren wollen wir als erste Orientierung im Storytelling einen Dreiklang an Kategorien vorstellen, der schon in Hollywoods kürzestem Rezept für eine Geschichte steckt: „Somebody wants something and is having troubles getting it.“ Wer diesem Leitsatz folgt, ist schon ein gutes Stück weiter, mit der nächsten Kampagne aus der Wunderkerzen-Logik auszubrechen. Wer ihn nicht erfüllt, hat schon mal ein gutes Indiz dafür, dass ihm eine zündende Geschichte fehlt.

 

Helden

Schauen wir also genauer hin: Was gibt es für Helden? Wofür braucht es Ziele und Konflikte? – Und vor allem: Wie kann eine Marke diesen Dreiklang nutzen?

Der Held ist die treibende Kraft. Er muss die Handlung glaubhaft voranbringen und dient dem Publikum als empathische Projektionsfläche. Dabei muss er nicht unbedingt sympathisch sein, solange wir seine Handlungen und Motive verstehen und uns in ihn hineinfühlen können. Nur dieser Mechanismus erlaubt es uns, mit Serien-Killern wie ‚Dexter‘ zu fiebern – nach reiner Faktenlage nicht gerade eine Identifikationsfigur. Im Marken-Storytelling unterscheiden wir scherenschnittartig vier Helden:

 

Ein Charakter als Held:

Hier agiert eine Figur als Held vom Publikum weitestgehend unabhängig. Das kann ein Testimonial sein, ein Mitarbeiter des Unternehmens (wie der 1&1-Kundenservice-Chef), eine fiktive Person (wie der Old-Spice-Guy) oder ein animiertes Wesen. Wichtig ist, dass der Held genügend Persönlichkeit mitbringt, damit sich das Publikum in ihn hineinversetzen kann.

 

Der User als Held:

In interaktiven Angeboten wie einem Computer-Spiel oder der Gestaltung von Service-Erlebnissen ist der User der Held und treibt die Geschichte voran. Er bringt seine Persönlichkeit mit und braucht vor allem eine starke Motivation, die Geschichte voranzubringen. Während man einem Charakter aus „Mitgefühl“ folgt, ist „Mitmachen“ das zentrale Motiv des Users. Je weniger Einfluss er hat, desto eher fühlt er sich nicht beteiligt genug.

 

Die Marke als Held:

Kann eine Marke wirklich zum Helden werden? Wann ist sie Treiber einer Geschichte, nicht nur Initiator? Werden  Marken zum Helden, geht es fast immer um Charity-Aktionen – etwa weil Pepsi im Rahmen des „Refresh Project“ Werbegelder für den guten Zweck verteilt. Die Grenzen sind aber fließend, da das Publikum vielleicht nicht die Marke, sondern das Unternehmen als Helden betrachtet. Oder gar den Chef, der den Scheck übergibt.

 

Das Produkt als Held:

Das Produkt ist der Held des 30-Sekünders. Je nach Talent der Macher lässt sich das Publikum auf eine atemberaubende Produktinszenierung ein. Doch ganz im Ernst gefragt: Fällt jemandem eine längere Geschichte ein, in der ein Produkt eine handelnde Hauptrolle spielt? Wir landen immer wieder bei Herbie, dem VW-Käfer mit Herz. Diese Story stammt jedoch von Walt Disney, nicht von Volkswagen.

Aber ist es schlimm, dass Marken und Produkte keine starken Helden ergeben? Eigentlich nicht. Der Held ist in vielen Geschichten nicht die schillerndste Person. In „Krieg der Sterne“ ist Luke Skywalker zwar der Held, gegen Meister Yoda oder Han Solo wirkt er aber ziemlich blass. Die ideale Rolle einer Marke in einer Story ist die gleiche, die Meister Yoda für Luke einnimmt: als Enabler, Mentor, Unterstützer.

 

Ziele

Ein Held braucht ein Ziel. Die nächste Kategorie, die das Marketing gerne scheut. Denn wer ein Ziel hat, der kann es auch verfehlen. Gerade die Gefahr des Scheiterns lässt uns mitfiebern, zieht uns in eine Geschichte hinein. Je höher das Risiko des Scheiterns, desto spannender die Geschichte.

Gerade im Storytelling muss das Ziel des Helden klar sein. Die alternden Football-Spieler in der „Replay: Gatorade“-Kampagne wollen das Spiel gewinnen. Der User will als Kommissar im Computer-Spiel „L.A. Noir“ einen Mordfall aufklären .‘ Der Fisch-Papi in „Findet Nemo“ will seinen Sohn retten. Und die Teilnehmer am Social-Media-Modelwettbewerb von Benetton wollen Models werden. Ein klares Ziel ist so wichtig, weil das Publikum nur dann einschätzen und mitfühlen kann, wie hoch die eventuelle Fallllöhe oder der Erfolg ist.

„Entweder wir machen ein großartiges Computer-Spiel oder wir scheitern grandios“, so beendete Tim Schafer den Spendenaufruf für sein Computer-Spiel-Projekt auf Kickstarter.com, für das er 3,3 Millionen Dollar einsammelte.

 

Konflikte

Ein Ziel ohne Widerstände zu erreichen ist langweilig. Was wir uns für die eigenen Projekte vielleicht wünschen, ist für eine Geschichte der Todesstoß. Darum gilt für Drehbuchautoren eine eiserne Regel: Lasse deinem Helden das denkbar Schlimmste widerfahren. Ganz so dramatisch braucht eine Marken-Story nicht zu sein. Doch ganz ohne Konflikt geht es kaum.

Die „Status-Symptome“-Kampagne von „Dacia“ ist ein gutes Beispiel, wie man einen sozialen Neid-Konflikt kreativ und augenzwinkernd für die Kommunikation nutzen kann. Und bei „Replay: Gatorade“ kämpfen die Helden gegen ihren inneren Schweinehund.

Dass man Konflikte strategisch entwickeln kann, beschreibt Victoria Lynn Schmidt in ihrem Buch „Story Structure Architect“. Nach ihr gibt es sechs Konflikt-Typen, die man für eine Story nutzen kann. Oft funktioniert es schon mal gut, wenn der Konflikt in Form eines Antagonisten ein Gesicht bekommt.

Auch über das Storytelling hin aus ist Konfliktlosigkeit in der Kommunikation gleich doppelt gefährlich: Sie macht nicht nur Marketing-Aktionen beliebig und langweilig, sondern höhlt letztlich auch die Markenidentität im Kern aus. Eine konfliktfreie Marke ist ebenso langweilig wie ein Lebenslauf ohne Ausschläge.

Besonders für die Entwicklung von Kampagnen-Storys gibt der hier beschriebene Dreiklang einen empathischen Orientierungsrahmen, ein Story-Raster, um die Story-Qualitäten von Ideen zu überprüfen.

 

Wie kann eine Marke diesen Dreiklang nutzen?

Denn zwischen dem Helden und seinem Ziel entsteht sofort ein eingeschränkter Lösungsraum, aus dem heraus sich Handlungsschritte und Ereignisse denken lassen, die den Helden zu seinem Ziel führen. Im digitalen Zeitalter können sich diese Handlungsschritte auf verschiedenen Plattformen befinden und transmedial verteilen.

Die Frage nach eUlem Konflikt oder Konflikten steuert Hindernisse bei, die der Held überwinden muss, um sein Ziel zu erreichen – das liefert immer neue Spannungspunkte für die Story.

Die Marke greift von der anderen Seite in dieses Denken ein und fragt im Rahmen der Geschichte: Wie kann die Marke oder das Produkt den Helden unterstützen, sein Ziel zu erreichen?

Das Ergebnis dieses Prozesses sind Kerngeschichten. Sie bilden die Basis, um eUle Plot-Struktur, eine interaktive oder lineare Erzählweise und eben eine transmediale Inszenierung zu entwickeln.

Ob Marke oder nicht, schlussendlich gilt für den Erzähler an jedem Lagerfeuer ein Hinweis, den uns Howard Luck Gossage schon vor 50 Jahren gegeben hat: „Our first responsibility is not to the product but to the public.“

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Foto:  „Strongest Man“ | T’obi Wahn | photocase.de

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