Ein Blick über den Tellerrand – Inspiration für Planning im Zeitalter der großen Transformation

Von Ingo Waclawczyk, Leiter Strategie und Konzeption, anyMOTION – Neue Medien, Düsseldorf

 

Ein geradezu klassisches Beispiel für die Transformation von „alter“ zu „neuer“ Welt ist der aktuelle Konflikt zwischen der Taxibranche und Uber. Die Argumente, die beide Seiten vorbringen, stehen stellvertretend für viele ähnliche Fälle: Uber betont, dass sie einen innovativen digitalen Service bieten, den die Kunden wollen. Sie gehen sogar so weit, eine Anpassung der vorhandenen Gesetze und Regelungen zu fordern, da diese zu reglementierend – also nicht mehr zeitgemäß – sind. Auf der anderen Seite versuchen Taxiunternehmen und Behörden den Status quo zu schützen und die Nutzung des neuen Service mit rechtlichen Mitteln zu behindern oder zu verbieten.

Und die Kunden? Wenn man den Analysen glaubt, stehen sie dem Service von Uber positiv gegenüber, da er genau das bietet, was sie erwarten: einen Fahrservice von A nach B, möglichst schnell und günstig. Also für viele das exakte Gegenteil ihrer bisherigen Taxi-Erlebnisse. Dabei spielen für die Nutzer „klassische“ Faktoren wie Versicherungen, Steuern oder Sicherheit offensichtlich erst mal keine Rolle.

 

Marketing in der „neuen“ Welt

Diese Geschichte wiederholt sich täglich im Großen wie im Kleinen: Unternehmen, die ihren Ursprung in der digitalen Welt haben, beginnen Unternehmen aus der „klassischen“ Welt mit besseren, billigeren oder flexibleren Angeboten zu verdrängen. Aber es gibt auch viele „klassische“ Unternehmen, die durch eine weitgehende Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse den gefühlten Rückstand auf die digitalen Unternehmen wettmachen wollen.

Diese Entwicklung kann an Agenturen nicht spurlos vorbeigehen. Denn zum einen benötigen „klassische“ Unternehmen auf dem Weg in die „neue“ Welt kompetente Sparringspartner, die ihnen helfen können, die digitale Transformation zu bewältigen. Zum anderen macht es die zunehmende Komplexität notwendig, sich grundsätzlich mit Theorien und Lösungsansätzen für die Bewältigung der neuen digitalen Wirklichkeit zu beschäftigen, da auch die Agenturen selbst Teil dieser Transformation sind.

Um Inspiration für diese komplexe Aufgabe zu erhalten, kann sich ein Blick über den Tellerrand lohnen. Wie gehen Fachleute aus anderen Bereichen mit den elementaren Veränderungen durch die Digitalisierung um? Wo findet man diese Experten und was lässt sich aus ihren Ideen für Marketing-Strategen lernen?

 

„Global Drucker Forum“

Eine Veranstaltung, die sich zu einem der führenden Events für Management-Experten entwickelt hat, ist das „Global Drucker Forum“ in Wien. Im Rahmen des dreitägigen Forums diskutieren internationale Experten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen über die zentralen Herausforderungen, denen sich Menschen, Organisationen und Gesellschaft stellen müssen, um die Zukunft zu meistern. Thema des letztjährigen Forums war die „Komplexität“, die durch die Digitalisierung der Gesellschaft ausgelöst wurde. Die Thesen und Theorien der Experten sind immer noch aktuell und besonders interessant für Strategische Planner, die sich ebenfalls mit dem Management von Informationen, Wissen und Arbeit beschäftigen.

 

„Geburtswehen einer neuen Zeit“

Eine der wichtigsten Grundlagen für die neue komplexe Welt hat der Management-Experte Fredmund Malik formuliert. Für ihn ist die aktuelle Situation keine normale Krise, die irgendwann einmal bewältigt sein wird – schon gar nicht mit den herkömmlichen Management-Instrumenten. Er empfiehlt, die Gegenwart als einen großen globalen und unumkehrbaren Veränderungsprozess zu betrachten. Die gegenwärtige Krise von Institutionen und Unternehmen bezeichnet er plakativ als die „Geburtswehen einer neuen Zeit“.

In seiner Theorie der „Großen Transformation 21“ beschreibt Malik, wie das Aufkommen der neuen „sozialen“ Technologien die alten Prozesse ablöst und in der Folge grundlegende Auswirkungen auf alle Menschen und Organisationen haben wird. Besonders interessant ist der Hinweis, dass Methoden, die in der „alten“ Welt erfolgreich waren, in der „neuen“ Welt nur hinderlich und erfolglos sein werden.

Zur Bewältigung der Komplexität in der „neuen“ Welt schlägt Malik einen zunächst ungewöhnlich wirkenden Ansatz vor: nämlich bei den Wissenschaften der Systemtheorie, der Kybernetik und der Bionik nach Inspiration zu suchen. Er empfiehlt den gezielten Einsatz von leistungsfähigen Steuerungselementen, die auf kybernetischen Prinzipien beruhen. So hat er zum Beispiel für die notwendige Transformation innerhalb der Organisationen einen moderierten Kommunikationsprozess entwickelt, bei dem die wichtigsten Entscheider in kurzer Zeit gemeinsam die richtungsweisenden Weichenstellungen erarbeiten und anschließend gemeinsam umsetzen.

 

„Von skalierbarer Effizienz zu skalierbarem Lernen“

Einen anderen Ansatz hat der amerikanische Autor und Berater John Hagel entwickelt. Um den Konflikt zwischen linearen, hierarchisch organisierten Unternehmen und der dezentralen, nicht-linearen Umwelt zu lösen, schlägt er vor, den Zweck von Unternehmen grundlegend zu verändern. Aktuell geht es vielen Institutionen vor allem um Gewinn durch skalierbare Effizienz. Aber gerade diese skalierbare Effizienz behindert das dringend notwendige systematische Lernen, das eine der Grundvoraussetzungen für den Umgang mit Komplexität ist.

Der Zweck einer Institution kann daher nur der sein sicherzustellen, dass die Mitarbeiter schneller und effizienter innerhalb eines Unternehmens lernen als außerhalb. Diese Theorie basiert auch auf der Annahme, dass es heute mehr „clevere“ Menschen außerhalb eines Unternehmens gibt als innerhalb. Hagels Botschaft an die Organisationen lautet daher: Verändert euch „von skalierbarer Effizienz zu skalierbarem Lernen“.

 

Nicht größer werden, sondern besser

Der irische Philosoph und Autor Charles Handy empfiehlt den Organisationen, in dieser komplexen Welt nicht mehr wie bisher nach Expansion zu streben, sondern die Qualität der eigenen Leistung permanent zu verbessern. Als ein Beispiel für dieses Prinzip nennt er den deutschen Mittelstand, der – ähnlich einem Orchester – nicht immer größer werden will, sondern immer besser. Basierend auf seiner Theorie der vier „Organisations-Kulturen“ hat Handy außerdem eine Organisationsform entwickelt, mit der Industrie-Unternehmen den Herausforderungen des neuen Zeitalters begegnen können. Die sogenannte „Shamrock Organisation“ – benannt nach dem irischen Nationalsymbol des Kleeblatts – besteht aus drei Bereichen: dem „professionellen Kern“, den Spezialleistungen und den flexiblen Arbeitskräften. Und als wichtigste Motivation für die Mitarbeiter der Unternehmen bezeichnet Handy den Zweck des Unternehmens, dessen Sinn die Mitarbeiter unterstützen und mittragen müssten, um gute Leistungen zu erbringen.

 

Vielfalt kann nur mit Vielfalt bewältigt werden

Der Schweizer Kybernetik-Experte Peter Gomez empfiehlt zwei Prinzipien: Muster erkennen und eine „optimale“ Vereinfachung. Die Identifizierung von Mustern ist deshalb sinnvoll, da kein Mensch in der Lage ist, alle Details einer komplexen Situation zu erfassen. Wenn man aber ein Muster erkannt hat, kann man eine einfache Regel aufstellen, um die Komplexität zu reduzieren. Als Beispiel nennt er den Straßenverkehr, dessen Komplexität durch die einfache Regel „rechts fahren“ deutlich vereinfacht wird. Als Beispiel für eine optimale Vereinfachung nennt er die Einführung des Kreisverkehrs, der den Verkehr trotz Kreuzung weiter fließen lässt.

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Auch für Gomez ist die Wissenschaft der Kybernetik eine wesentliche Grundlage für die Bewältigung von komplexen Systemen. Ein Grundprinzip der Kybernetik ist in „Ashby’s Law“, dem Gesetz von der erforderlichen Vielfalt, formuliert: Um ein System mit großer Vielfalt zu kontrollieren, muss entweder auf der einen Seite die Vielfalt erhöht oder auf der anderen Seite verringert werden. Wobei Systeme mit geringer Vielfalt nur für Aufgaben von geringer Komplexität geeignet sind. Für komplexe Aufgaben werden unbedingt Systeme mit großer Vielfalt benötigt. Dieses Gesetz findet beispielsweise in aktuellen agilen Management-Methoden wie Scrum eine praktische Anwendung.

 

Individuelle Lösungen notwendig

Es gibt sicher noch viele weitere interessante Gedanken und Ansätze, von denen sich lernen lässt. Fest steht: Es gibt bisher keine Patentlösung, die sich schnell und einfach einführen lässt. Wichtig scheint aber zu sein, die Prinzipien der „neuen“ Welt zu kennen und zu verstehen. Die passenden Methoden, Werkzeuge und Prozesse müssen aber offensichtlich individuell für jede Organisation, je nach Markt, Umfeld und Wissen, entwickelt und angepasst werden. Das ist eine spannende Aufgabe, bei der strategisches Planning – mit dem entsprechenden Know-how ausgestattet – eine wichtige Rolle spielen kann.

 

Links:

Druckerforum: http://www.druckerforum.org/2013/the-event/overview
Fredmund Malik: Die Grosse Transformation21
Kybernetik: http://www.kybernetik.ch
William Ross Ashby: http://en.wikipedia.org/wiki/William_Ross_Ashby

Foto: „Neugier“ | luxuz::. | photocase.de

 

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