Was wollen wir eigentlich wählen?

Die Führungssehnsucht des Wählers als strategischer Ausgangspunkt.

Von Bärbel Boy, boy Strategie und Kommunikation, Kiel

 

„Wählen Sie doch, was Sie wollen“ – dieser als frech und gelungen beschriebene Wahlslogan der FDP im schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf wirft eine zentrale Arbeitsfrage der strategischen Planung auf: Was wollen sie (die Wähler) denn eigentlich?

Was wollen sie, wenn sie wählen? Wollen sie durch den Wahlakt mitbestimmen? Über Politik und Themen? Über die Zukunft ihres Landes?Oder ist der Wahlakt nur die erwachsene Entsprechung der einstigen Anführerwahl in Cliquen und Dorfjugendbanden? Wollen sie (wir) also nur einen Anführer wählen? Das Abschneid en der Piraten zumindest würde dafür sprechen.

Eines vorweg: Dieser Artikel wurde in Schleswig-Holstein während des Landtagswahlkampfes geschrieben. Er ist von der Wahrnehmung der Autorin gefärbt. Ist die „Kuhweide mit Sitz im Bundesrat“ das richtige Erhebungsfeld für Wahlwerbung? Nachdem d ie Signalwirkung dieser Wahl für den Bundestrend so oft benannt wurde: ja.

Es gibt einen weiteren Grund, der diesen Landtagswahlkampf so interessant macht – aus Sicht unserer Zunft: Es war ein von Anfang an so geplanter „anständiger“ Wahlkampf, in dem nicht mit harten Bandagen gekämpft wurde. Geradezu enttäuscht waren Medien und Zuschauer über die Freundlichkeit der gegnerischen Kandidaten, das Ausbleiben jeglicher Skandalanhängerei oder lauter Wortgefechte.

Zu sanft, zu nah, zu unaufgeregt war es. Und zu wenig unterschiedlich die Positionen. Dabei geht es eben um die Unterschiede – damit der Wähler eine Wahl hat. Und die herauszuarbeiten wäre Aufgabe strategischer Planung. 2009 sagte Dominic Veken: „Der Trend geht zu idealistischen Botschaften.“ Und er führte aus, dass Parteien immer mehr auf eine sinnliche Ansprache des Wählers setzen, die ihn nicht nur argumentativ überzeugen, sondern vor allem emotional bewegen solle (FAZ 23.05.2009).

 

Wo sind die Unterschiede?

Wenn aber die Botschaften zu nah beieinander sind und die Parteien alle ihr Land lieben und – in welcher Formulierung auch immer – alle bei den Menschen sein wollen, wird Emotion zum Weichspüler aller Unterschiede.

Das hilft auch nicht. Die Wahlbeteiligung sinkt, weil ja keiner mehr Orientierung bietet. Nicht einmal die Farben sind mehr eindeutig zuzuordnen. So bot sich die CDU abwechselnd in Grün und Orange dar, die SPD nutzte viel Blau und näherte sich so schon mal prophylaktisch dem SSW an. Besonders heiß diskutiert war zusätzlich der von grau auf grün umgefärbte Schal des CDU-Spitzenkandidaten, der symbolisch nachhaltige Lockerheit vermitteln sollte, aber eigentlich nur den Griff in die Trickkiste vermittelte.

 

Die Rolle der Spitzenkandidaten

Bleibt noch der/die Spitzenkandidat/in für eine Unterscheidung und Orientierungsfunktion. Das bedeutet, dass die von Veken berufene Emotionalisierung sich im Wesentlichen auf die Person des/der Kandidaten/in beziehen muss. Alleine durch die Medienberichterstattung nimmt die Personalisierung der Wahlkämpfe stetig zu.

Das Fernsehen verstärkt die kandidatenzentrierte Politikvermittlung besonders. Die Medienberater sind deshalb den Spitzenkandidaten schon zur Hilfe geeilt. Aber die trainieren, sie positionieren nicht.

Frank Brettschneider hat bei der Analyse der Wirkung von Spitzenkandidaten auf den Wahlerfolg (Frank Brettschneider: Spitzenkandidaten und Wahlerfolg. Personalisierung – Kompetenz – Parteien. Ein internationaler Vergleich) 2002 auf Grundlage von großen Wahlen aus zehn Jahren festgestellt, dass der Kandidat dann punktet, wenn er sich durch Leadership-Qualitäten (Führungsstärke, Tatkraft, Entscheidungsfreude) und Integrität (Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein) auszeichnet.

Leadership-Qualitäten stehen höher im Kurs als die Themenkompetenz. Und höher als bloße Sympathie. Die Sehnsucht nach einer glaubwürdigen und starken Führungsperson ist in den letzten zehn Jahren sogar noch weiter gewachsen.

 

Die Führer, die wir uns wählen

Kets de Vries führt in seinem Buch ‚Führer, Narren und Hochstapler – Eine Psychologie der Führung‘ aus: „Alle gesellschaftsbildenden Lebewesen benötigen Anführer; [ … ] Dieses grundlegende Bedürfnis findet auf einer ungemein breiten Skala mit gleitenden Übergängen Ausdruck – es manifestiert sich in dem neugierig-lüsternen Interesse an den europäischen Königshäusern, das die Medien in Ländern bekunden, die ihre eigenen Monarchien längst abgeschafft haben.“ Er fragt: „Wovon hängt es ab, ob jemand zu einem Führer wird oder nicht?“ Dabei betrachtet er die psychische Beschaffenheit des Führers und die verschiedenen Elemente der Beziehung zwischen Führern wird ihrem Gefolge: „Geführte neigen dazu, ihre Phantasien auf ihre Führer zu projizieren, und deuten alles, was diese Führer tun, im Licht des Bildes, das sie sich von ihnen erschaffen haben.“

 

Mitbestimmen oder Bestimmen des Bestimmers?

Im TV-Duell zwischen den Spitzenkandidaten in Schleswig-Holstein wurde die Frage gestellt: „Was ist Ihr Führungsstil?“ Die Antworten beider Kandidaten enthielten die gleichen Schlüsselbegriffe „Teamplayer“ und „Nähe zu den Menschen“. Ein Hinweis auf eine zukünftige Aufgabe er Wahlkampfstrategie: Die strategische Ausrichtung des Spitzenkandidaten als Führungsfigur.

Die hohen Persönlichkeitswerte des SPD-Spitzenmannes Albig haben immerhin zu fünf Prozent plus verholfen. Der FDP ist auch ein gefühlter Erfolg gelungen – allerdings hatte sie für die Positionierung des Kandidaten Kubicki auch Jahre Zeit. Dennoch ist eine Halbierung der Stimmen zu verzeichnen. Der CDU ist es nicht gelungen, eine neue Führungspersönlichkeit nach Landesvater Carstensen zu positionieren. Die Grünen und der SSW haben es wohl geschafft, die Führungsvorstellung ihrer Anhänger mit ihren Kandidaten zu erfüllen.

Brettschneiders Ergebnisse, was die Wirkung der Führungspersönlichkeit des Kandidaten angeht, sind aktueller denn je. Nur, wie kommt diese Führungspersönlichkeit zwischen Kleinkunstveranstaltungen und eingeübter parteipolitischer Schreierei zum Ausdruck?

Indem es zur Pflicht der Wahlkampfstrategie wird, den Spitzenkandidaten als Führungspersönlichkeit im Feld der Wettbewerber zu positionieren. Dazu gehört die Analyse der Leadership-Anmutung aller Kandidaten. Und eine Erkenntnis darüber, welche Eigenschaften desKandidaten eigentlich die Führungssehnsucht der Wählerschaft besonders befriedigen lassen. Dann können Strategen und Kandidaten/Kandidatinnen ihr Bild vom zukünftigen Amtsinhaber formulieren und vor Augen haben. Selbstbild und Plakat geben im Einklang Orientierung für Medien und Wähler.

 

 

 

Foto: „wirf deine stimme nicht weg“ | kallejipp | photocase.de

comments powered by Disqus