Klassisches Planning vs. zeitgemäße Kommunikations-Strategie
Immer wieder kommt die Frage auf, ob es relevante Unterschiede zwischen „Planning“ und „Kommunikations-Strategie“ gäbe. Hier eine bewusst überspitzte Gegenüberstellung.
Von Knut Riedel, freier Strategy Director, Hamburg.
Die Geburt des Account Planning lässt sich exakt datieren. Am 15.7.1968 beschloss man bei JWT London: „The name Account Planning was agreed as a reasonable description of our function.“1 Zeitgleich etablierte man auch bei BMP eine ähnliche Funktion und „borgte“ sich den Namen einfach.2 In den 1980ern erlangte die Profession dann ein Profil, mit dem sie nach Deutschland, die USA und weitere Länder exportiert wurde.
Frühe Standards im Account Planning
Account Planning entstand in einer von FMCGs dominierten Marketing-Welt. Es galt, sich gegen die Konkurrenz direkt nebenan im Regal mit einem Profil jenseits der nahezu identischen Basis-Funktionalität durchzusetzen.
Klassische Werbung war das zentrale Mittel, um Produkten in der breiten Bevölkerung „Images“ und „Persönlichkeiten“ zu verschaffen. Im Planning-Alltag war man daher v.a. mit der Vorbereitung der nächsten Kampagne befasst.
Im Laufe der 1970er Jahre setzte sich der Creative Brief als Standard-Tool durch: Basierend auf Zielgruppe (Target Market) und Zielen der Werbung (Role of Advertising / Advertising Objectives) ist eine Kernbotschaft (Proposition) zu formulieren, die durch nachvollziehbare Fakten (Support) untermauert wird; die Botschaft ist in einer bestimmten Tonalität zu vermitteln (Tone of Voice) und das Ziel wird nochmals in Konsumentensprache wiederholt (Desired Consumer Response).
„Typical sections of a creative briefing” aus dem Jahr 1989.3 Man beachte: Ein Insight als (psychologische) Basis der Strategie kommt hier (noch) nicht vor.
Trotz unzähliger Variationen rissen die Zweifel am Creative Brief niemals ab. Selbstkritisch etwa David Cowan, der zweite bei BMP eingestellte Planner: „I never felt that we got the briefs right.“4
Das Grundproblem: Die Logik des Creative Brief unterstellt, dass gute Werbung v.a. dann entsteht, wenn die Strategie wie eine Argumentation aus Proposition und Support aufgebaut ist – sie hat also einen rationalen Bias.
Weiterhin setzte sich die Vorstellung eines linearen Prozesses durch, mit dem Creative Briefing Meeting als Übergabepunkt: „The creative briefing is the point at which one group of problem-solvers hands on the fruits of their labours to the next group.“5 Danach überprüft das Planning, ob die kreativen Ideen „on strategy“ sind und macht Vorschläge zur Verbesserung. Während BMP dynamischen Creative Development Research forcierte, setzte JWT stärker auf die nachträgliche Campaign Evaluation.6
Neue Standards: Consumer Insight und Marken-Definition
Als sich das Planning in den 1990er auch in Deutschland entwickelte, traten zwei Aspekte in den Vordergrund, die das Selbstverständnis nach wie vor stark prägen:
- Im Creative Brief fokussierte man nun auf den Consumer Insight, der auch heute noch eine Art Fetisch für alle Planner darstellt: Mit sozio-psycho-kulturellem Gespür gilt es eine Spannung in der „Verbraucher-Seele“ zu definieren, deren Lösung das Produkt dann in seiner Kommunikation versprechen soll (Benefit).
- „Die Marke“ wurde Mega-Thema im Marketing. Werbung wurde zum ultimativen Mittel stilisiert, um Ikonen wie Nike, Marlboro und Coca Cola aufzubauen. Planning befasste sich nun stark mit Marken-Modellen und der Definition von Marken-Werten.
Die Konsequenz: Das aktiv-pragmatische „Ad Tweaking“7 geriet in den Hintergrund. Stattdessen stieg das Planning nun ab in die Tiefen der Verbraucher-Psyche und hinauf in die Höhen der Marken-Philosophie.
Dieser Entwicklungsstand definiert für mich „klassisches Planning“.
„Zeitgemäße Kommunikations-Strategie“
Die Zeit danach brachte eine massive Zunahme an Komplexität. „Zeitgemäße Kommunikations-Strategie“ agiert daher in einem deutlich weiteren Rahmen als „klassisches“ (Account) Planning:
- Jenseits von FMCGs und ATL: Klassische Konsumgüter-Werbung deckt heute nur noch einen kleinen Teil der Arbeit von Agenturen ab. Auch Investitionsgüter, B2B-Lösungen und cross-kategoriale Marken-Portfolios wollen vermarktet werden. Klassische Werbe-Logik und Creative Brief reichen auch nicht aus, um Websites, Corporate Publishing, PR, Social Media, CRM etc. zu planen oder sogar neue digitale Services zu entwickeln. Ein deutlich weiteres, auch stärker konzeptionelles Denken ist hier gefragt.
- Channel Planning: Consumer Insights sind wichtig, darüber hinaus müssen heute aber ganze Customer Journeys reflektiert werden. Eine Touchpoint-Dramaturgie muss deutlich detaillierter vorbereitet werden als eine einzige Botschaft für den klassischen TV-plus-Print-plus-X Media-Mix.
- Marken-Pragmatismus: Im Angesicht der üblichen Fluktuation, Markt-Getriebenheit und Mikro-Politik „markenführender“ Unternehmen hat sich Nüchternheit eingestellt. Weniger der ganz große Wurf ist heute das Ziel, sondern ein Mindestmaß an strategischer Stringenz durchzuhalten.
- Online UND Offline: Ogilvy & Mather schickt seine Planner wieder „in the wild … to connect with real people.“8 Mit den Verheißungen der digitalen Welt hat man sich wohl etwas zu weit vom Anspruch „the planner is the unbiased point of contact with the outside world“9 entfernt. Es gilt eine neue Balance zu finden zwischen den Datenspuren der Zielgruppe im Internet und deren „echten“ Leben.
- Agile Methoden: Design Thinking und Scrum zeigen, dass interdisziplinäre Kollaboration oft schneller und kreativer zum Ziel kommt als klassische Wasserfall-Prozesse. Ob als Moderatoren, Rahmengeber oder konzeptionell-kreativ – Strategen werden wieder Teil des Kreativ-Teams, und nicht nur vorgeschaltete Planungs-Instanz.
„Kommunikations-Strategie“ ist mehr als „Planning“
Die moderne Marketing-Welt bietet Herausforderungen und Chancen, auf die weder das ursprüngliche Account Planning, noch das „klassische“ Planning der 1990er ausreichende Antworten liefern. Insbesondere die nicht mehr zeitgemäßen Denkkategorien klassischer Konsumgüter-Werbung sehe ich dabei als Behinderung für die Weiterentwicklung unserer Profession an.
Hinzu kommt: Kaum jemand außerhalb der Werber-Gemeinde verbindet mit dem Begriff „Planning“ eine klare Vorstellung. „Strategie“ dagegen löst schnell zielführende Assoziationen aus – und v.a. Neugier und Interesse, mit einem „Strategen“ die eigenen Probleme und Ziele zu erörtern.
Natürlich sollten wir Kommunikations-Strategen uns zu unseren Wurzeln aus dem letzten Jahrtausend bekennen. Wir sollten aber zugleich stolz darauf sein, wie weit wir inzwischen darüber hinaus gewachsen sind.
Fußnoten:
1 Judy Lannon & Merry Baskin (Ed.): „A Masterclass in Brand Planning”, S. 15
2 Ebd., S. 21
3 Don Cowley (Ed.): „How to plan Advertising”, 1st Edition (1989), S. 80
4 John Griffiths & Tracey Follows: „98% Pure Potato“, S.181
5 „How to plan Advertising” (1st Ed.), S. 77
6 „How to plan Advertising” (1st Ed.), Kapitel 6-8
7 „A Masterclass in Brand Planning“, S. 63 ff.
8 http://www.campaignlive.co.uk/article/planning-wild-ogilvy-planners-getting-connect-real-people/1421098
9 „How to plan Advertising” (1st Ed.), S. 4
Erschienen in: new business / 10.07.2017
Quelle Titelbild: shutterstock.de/rafal olechowsk